Wolfrum, Philipp Julius 

Geburtsdatum/-ort: 17.12.1854; Schwarzenbach am Wald
Sterbedatum/-ort: 08.05.1919; Samaden (Schweiz)
Beruf/Funktion:
  • Komponist, Dirigent
Kurzbiografie: 1866 Präparandenschule Kulmbach
1869-1872 Königliches Lehrerseminar Altdorf
1873 Lehrer an der Volksschule Bad Steben
1874 Hilfslehrer am Königlichen Lehrerseminar Bamberg
1876 Allstellungsprüfung für Volksschullehrer in Bayreuth
1876-1878 Beurlaubt zum Studium an der Königlichen Musikschule München, Abschlußprüfung mit Note I
1878-1884 Stellvertreter eines ordentlichen Seminarlehrers in Bamberg
1884 Berufung nach Heidelberg („Hilfslehrer am Theologischen Seminar der Universität“)
1885 Dirigent des Bachvereins und des Landesverbandes der evangelischen Kirchenchöre
1891 Dr. phil. (Leipzig)
1894 Universitätsmusikdirektor in Heidelberg
1898 außerordentlicher Prof. für Musikwissenschaft an der Universität Heidelberg; Uraufführung des „Weihnachtsmysteriums“
1907 Generalmusikdirektor (nach Ausschlagung eines Rufs nach Straßburg)
1910 Dr. h. c. der Theologischen Fakultät der Universität Heidelberg
1914 Geheimer Hofrat
1924 Relief Wolfrums in der Heidelberger St. Peterskirche; 1929 Gedenktafel an seinem Geburtshaus
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1887 Regina, geb. von Wallmenich
Eltern: Vater: Johann Heinrich Wolfrum, „Cantor und Oberknabenlehrer“
Mutter: Anna Margaretha, geb. Schmidt
Geschwister: 3 aus erster Ehe
1 aus zweiter Ehe
Kinder: 1
GND-ID: GND/11863495X

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 3 (1990), 308-309

Eines der Zentren des badischen Musiklebens, der Heidelberger Bachverein, verdankt Wolfrum jahrzehntelange erfolgreiche Leitung (1885-1919), seinen Nachfolgern Hermann Meinhard Poppen (1919-1956) und Erich Hübner (1956-1985) ungebrochene Fortsetzung einer beispiellosen Kontinuität über hundert Jahre hinweg. Wolfrums außerordentliche Laufbahn entsprach seinen schon früh offenbaren außerordentlichen Gaben; bereits der Vierzehnjährige beherrschte mehrere Instrumente. Die Lehrerausbildung schloß er zwar ab, zu dieser Zeit war jedoch schon entschieden, daß er seinen Lebensberuf in der Musik finden würde. Nach hervorragendem Abschluß der Studien in München – u. a. bei Joseph Rheinberger und Ludwig Wüllner – entfaltete er in Bamberg eine fruchtbare Lehr- und Kompositionstätigkeit, ehe er in seine Lebensaufgabe nach Heidelberg berufen wurde. Den berufenden Theologen H. Bassermann bewegte die „Sorge um die kirchenmusikalische Grundausbildung der künftigen Theologen und um das allgemeine (kirchen)musikalische Niveau“ (Nieden) in Heidelberg. Wolfrum ging energisch ans Werk, und der 1885 gegründete Bachverein zeigte sich schnell anspruchsvollen Aufgaben gewachsen: schon nach einjährigem Bestehen konnte Wolfrum ein erstes großes Kirchenkonzert (mit seinem „Großen Halleluja“) geben, und er wandte sich nun dem planmäßigen Auf- und Ausbau des Heidelberger Musiklebens zu, dem er in den folgenden Jahrzehnten seine schier unbegrenzte Arbeitskraft als Pianist, Organist, Komponist, Dirigent, Musikwissenschaftler und nicht zuletzt als fähiger Organisator widmete. Mit einer ganzen Serie von Sinfonie- und Chorkonzerten und von Musikfesten verschaffte er der Stadt den Ruf eines „musikalischen Zentralpunktes“ (Wolfrum).
Aufführungen der h-Moll Messe und der Lisztschen Oratorien, eine Mozart-Zentenarfeier, die Tonkünstlerfeste des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (1901 und 1911) die Musikfeste zur Einweihung der neuen Stadthalle (1903) und zur 25-Jahrfeier des Bachvereins (1910) und das Bach-Reger-Fest (1913) bezeichnen den imponierenden Erfolgsweg Wolfrums, dem ein weitreichendes Netz von Verbindungen innerhalb der damaligen musikalischen Welt zu Gebote stand; Max Reger und Richard Strauss waren seine Freunde. Enge Beziehungen bestanden zu Bayreuth; eine zeitweise erwogene Berufung dorthin kam nicht zustande. Seine an Bayreuther Elementen (unsichtbares Orchester) orientierte „Heidelberger Konzertreform“ setzte sich nicht durch; es blieb, im Sinne etwa der Vorstellungen Strawinskys, bei dem sichtbar reproduzierenden Künstler als dem „geachteten Mittler zwischen Kunstwerk und Publikum“ (Domke).
Die wissenschaftliche Betätigung fand einen ersten Niederschlag in der Dissertation über die Entstehung des evangelischen Kirchenliedes (1891, eingereicht in Leipzig, wo Kandidaten ohne Abitur zugelassen waren). Nach verschiedenen kleineren Schriften folgte 1906 die zweibändige Bach-Biographie. Seine Orgelsonaten, Chorwerke und Tondichtungen (u. a.) umfassende Kompositionstätigkeit kulminierte im 1898 vollendeten und vielfach aufgeführten „Weihnachtsmysterium nach der Bibel und Spielen des Volkes“. „Mit einem an Bach geschulten kontrapunktischen Können, mit einer in der Schule der neudeutschen Orchestersprache ausgeweiteten Harmonik ... verarbeitet es Lied der Kirche und des schlichten Volkes zu einer Schöpfung von Format“ (Poppen). Und Richard Strauss attestierte gar „Bachsches Können, vereint mit Lisztscher Ekstase.“
Der Sohn des Dorfschulmeisters, nun Geheimrat, Direktor, Professor, konnte auf einen erstaunlichen Lebensweg zurückblicken, als er 1919 im Engadin, „ausgemergelt“ und erschöpft von einer pausenlosen Folge kräftezehrender Produktionen, die müden Augen schloß. Sein Persönlichkeitsbild ist aus Zeugnissen seiner Schüler und aus Briefen und Karten an seinen Nachfolger Poppen gut greifbar. Wolfrum war glänzend talentiert, ein treuer Sohn der fränkischen Erde, aber ein Charakter mit Ecken und Kanten, immer angriffslustig und mit autokratischer Autorität, befehlsgewohnt und sich seines Ranges wohl bewußt: „Es wäre Zeit, daß ich von hier weggehe; ich habe keine Händel mehr, sie parieren mir alle.“ Als ihn der Komponist S. Ochs bat, sich für die Verleihung eines Ordens einzusetzen, und dafür eine Aufführung des „Mysteriums“ versprach, antwortete er: „Sehr geehrter Herr Ochs! Auf einen solchen Kuhhandel lasse ich mich nicht ein!“ Seinen Assistenten Poppen ermahnte er, in seiner (Wolfrums) „zahmen Kriegspartitur im Franzosenmarsch die gestopften Trompeten frech die Zunge blecken“ zu lassen und „stramm zu proben“; er, Wolfrum, werde „dreinfahren mit dem Furor teutonicus“.
Anflüge eines aus dem Zeitgeist zu erklärenden Hurrapatriotismus (1914 komponierte Wolfrum „für die Siegesfeier“) beeinträchtigen das Persönlichkeitsbild kaum, das durch die Weite eines überlegenen Geistes und die bewundernswerte Kraft zur Umsetzung weitreichender Pläne in die Wirklichkeit geprägt wird. Freilich, heutigem Stilempfinden entspricht die Zusammenstellung manches seiner Konzertprogramme nicht mehr, und Wolfrums selbstherrliches Überschreiten der Bachvereinsstatuten in Richtung auf die Etablierung eines hochkarätigen Konzertbetriebs hatte verschiedentlich ernsthafte Schwierigkeiten hervorgerufen, die Wolfrum nicht im mindesten in der Konsequenz des eingeschlagenen Wegs beirrten. Die beiden Nachfolger jedoch setzten die völlig auf die Person Wolfrum zugeschnittene Gestaltung des Heidelberger Musiklebens nicht in der gleichen Weise fort und leisteten (unter Wahrung der von Wolfrum gesetzten hohen Maßstäbe) ihren eigenständigen Beitrag dazu auf der Grundlage ihrer vorwiegend kirchenmusikalisch inspirierten Leitbilder. Ruhmesblätter in der Lebensgeschichte Wolfrums bleiben die tatkräftige Förderung vieler zeitgenössischer Komponisten – darunter Brahms (Widmung einer Komposition Wolfrums: „Mit unbegrenzter Verehrung“), Bruckner, Charpentier, d'Albert, Elgar, Humperdinck, Reger, Sibelius, R. Strauss, Wolf – und die systematische Heranbildung bedeutender Schüler: O. Duffner, R. Hasse, H. Kaminski, W. Leib, H. M. Poppen, K. Salomon, F. Stein. „Philipp Wolfrum hat immer sehr große Ansprüche an sich selbst gestellt. Nur so glaubte er, von seinen Mitarbeitern das Letzte verlangen zu können. Er war herrisch, aber nur, um der Musik und ihren Meistern zu dienen“ (Salomon).
Werke: Kompositionen (Auswahl) und Schriften in: F. Baser, Stichwort Wolfrum in: MGG Bd. 14, 1968, Sp. 827/28.
Nachweis: Bildnachweise: in: 100 Jahre Heidelberger Bachverein 1885-1985.

Literatur: ebda; ergänzend (und grundlegend) H.-J. Nieden, P. Wolfrum, der künstlerische Leiter des Bachvereins von 1885-1919, in: Musik in Heidelberg, 100 Jahre Heidelberger Bachverein 1885-1985, im Auftrag der Stadt Heidelberg und des Bachvereins hg. von R. Steiger (Heidelberg 1985); R. Domke, Die Heidelberger Konzertreform von D. Dr. P. Wolfrum (ebda); Otto Frommel, Festrede, in: 50 Jahre Bachverein Heidelberg 1885-1935 (Heidelberg o. J.); H. Korndörfer, P. Wolfrum, Zur Wiederkehr des 100. Geburtstags des großen Sohnes Schwarzenbachs am Wald im Jahre der Stadterhebung, in: FS anl. der Stadterhebung Schwarzenbachs (Schwarzenbach am Wald 1954); Karel Salomon, P. Wolfrum als Lehrer und Förderer, in: Ruperto-Carola Jg. 21, Bd. 46, 1969, 60-63; – Für Einsicht in den musikalischen Nachlaß von H. M. Poppen bin ich Herrn Volkmar Poppen, Bonn, zu besonderem Dank verbunden.
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