Köth, Erika Gertrude 

Geburtsdatum/-ort: 15.09.1925; Darmstadt
Sterbedatum/-ort: 20.02.1989; Neustadt a. d. Weinstraße
Beruf/Funktion:
  • Sängerin
Kurzbiografie: 1932-1941 Volksschule in Darmstadt, 1933-1934 Kinderlähmung
1942-1944 Kaufmännische Lehre in einer Kohlengroßhandlung in Darmstadt, Kaufmannsgehilfenprüfung, 1943-1944 gleichzeitig Besuch der Hessischen Landesmusikschule, Gesangsstudium bei Martha Kuhn-Liebel und Karoline Willner
1944-1945 Bürohilfskraft in einer Munitionsfabrik in Darmstadt, 1945 vorübergehend beim Arbeitsamt Darmstadt
1945-1947 Gesangsstudium an der Städtischen Akademie für Tonkunst in Darmstadt, gleichzeitig Sängerin im Jazzorchester Friedel Roßmann
1947 (31.12.) Erster Preis bei einem Sängerwettbewerb des Hessischen Rundfunks in Frankfurt/M.
1948-1950 Pfalztheater Kaiserslautern
1950-1953 Badisches Staatstheater Karlsruhe
1953-1978 Münchener Staatsoper, 1955-1978 ständiges Ensemblemitglied der Wiener Staatsoper (a. G.), 1961-1978 der Deutschen Oper Berlin; Gastspiele in allen europäischen Musikzentren
1954-1963 Mitwirkung bei den Salzburger Festspielen, 1965-1968 bei den Bayreuther Festspielen, Tourneen: 1958 Kanada und USA, 1961 Sowjetunion, 1963, 1966, 1970 Japan
1973-1976 Dozentin an der Kölner Musikhochschule
1978 Abschied von der Opernbühne, Umsiedlung von München nach Neustadt a. d. Weinstraße
ab 1978 Dozentin an der Musikhochschule Mannheim-Heidelberg, 1983 Professorin (ernannt vom Land Baden-Württemberg)
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch, 1989 römisch-katholisch
Verheiratet: 1951 Karlsruhe, Ernst Dorn, Schauspieler und Regisseur
Eltern: Elli Köth
GND-ID: GND/118713531

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 2 (1999), 286-289

Köth wuchs im Hause der Großeltern auf, wo sie auch erste musikalische Erfahrungen sammelte: der Großvater Jean Köth, Schriftsetzer und später Prokurist, veranstaltete regelmäßig kleine Hauskonzerte. Schon das Kind war ein stets fröhlich trällernder Singvogel. Achtjährig traf sie ein harter Schicksalsschlag; eine Kinderlähmung verursachte eine einjährige Bewegungsunfähigkeit. Im Leiterwagen wurde sie zum Arzt und in die Schule gefahren. Eine energische Urgroßmutter, die einfach nicht wahrhaben wollte, daß das kleine Mädchen dauernd an den Rollstuhl gefesselt sein sollte, brachte sie mit mühsamen Steh- und Gehübungen dazu, erst Sekunden, dann Minuten zu stehen und zu gehen, aber die Behinderung wirkte lange nach. Die Neunjährige durfte erstmals die Darmstädter Opernbühne betreten, mit dem kleinen Kinderchorsolo „Denn ihrer ist das Himmelreich“ in Kienzls „Evangelimann“. Als sie 1942 ihre kaufmännische Lehre antrat, stand der Berufsplan „Opernsängerin“ längst fest. Sie hatte das Glück, in der Hessischen Landesmusikschule bei tüchtigen Lehrerinnen die Anfangsgründe der Stimmbildung zu erlernen, bevor die Kriegsverhältnisse berufsfremde „Engagements“ in einer Munitionsfabrik und nach dem Einmarsch der Amerikaner im Darmstädter Arbeitsamt erzwangen. Das Gesangsstudium nahm sie sofort wieder auf, als die Landesmusikschule ihre Pforten öffnete, aber unter schwierigsten Verhältnissen: um ihren Lebensunterhalt und das Studium zu verdienen, tingelte sie zwei volle Jahre als Jazzsängerin durch die hessischen Lande; sie schätzte später hoch ein, was ihr in dieser Zeit an Aufführungserfahrung und rhythmischer Sicherheit zuwuchs. Die gleichzeitige Weiterführung des Musikstudiums warf allerdings viele Probleme auf, oft kam sie nachts um 4 Uhr nach Hause und mußte um 8 Uhr in der Musikschule antreten. Der 31.12.1947 wurde zum erfolgreichen Beginn der späteren großen Karriere: sie gewann den ersten Preis bei einem Sängerwettbewerb des Hessischen Rundfunks und hatte darauf das Glück, an einer kleinen und dann einer mittleren Bühne kontinuierlich in die großen Aufgaben hineinzuwachsen, die ihr ab 1953 gestellt wurden: acht Jahre nach dem Frankfurter Wettbewerb war die gerade Dreißigjährige bayrische Kammersängerin. Ein Agent vermittelte sie 1948 an das Pfalztheater Kaiserslautern – Monatsgage 300 Mark, nach der Währungsreform 150 DM –, die Philine in Thomas’ „Mignon“ wurde ihre erste Opernrolle. Schon bald konnten ihr neben Operettenpartien wie der Gräfin Mariza, der Fledermaus-Adele und der Christl von der Post („Vogelhändler“) ihre späteren Erfolgspartien anvertraut werden: Königin der Nacht, Blondchen, Rosina, Musette, Gretchen („Wildschütz“), Olympia, auch die schwierigste Koloraturpartie, die Zerbinetta („Ariadne auf Naxos“), sang sie schon in einem Konzert. „Die Zeit in Kaiserslautern war die schönste Zeit meines Lebens“, bekannte sie später; was sie vor allem von dort mitnahm, war die sich aus dem kollegialen Zusammenhalt eines Ensembles ergebende Standfestigkeit und Sicherheit auf den manchmal ja wackeligen Brettern, die die Welt bedeuten.
Daß da in Kaiserslautern ein Talent etwas im Verborgenen blühte, sprach sich herum, und so war der Weg an eine größere Bühne, das Badische Staatstheater in Karlsruhe, vorprogrammiert. Wieder hatte sie Glück: ein strenger Lehrmeister, aber auch ein „aufopfernder Freund“ (Köth), der bedeutende Dirigent Otto Matzerath, vermittelte ihr in einem klug gesteuerten Reifeprozeß jene künstlerische Prägung, die sie dann in eine große internationale Karriere führen sollte, und eine Gesangsmeisterin von hohen Graden, die in Karlsruhe jahrzehntelang beliebte Kammersängerin Else Blank, war und blieb viele Jahre lang ihre stimmliche Ratgeberin. Ohne Else Blank hätte sie aus ihrem Material nicht das machen können, was sie in so jungen Jahren in eine glanzvolle Karriere hineingeführt habe, erinnerte sie sich später. Sie begann in Karlsruhe am 3.9.1950 mit der Engelsstimme aus „Don Carlos“ und sang als erste große Partie die Rose Friquet („Das Glöckchen des Eremiten“); im ganzen erarbeitete sie unter der behutsamen und genauen Anleitung Matzeraths 25 große Partien. Als sie sich am 5.7.1953 mit der Gretel („Hänsel und Gretel“) verabschiedete, wollte der Beifall des dankbaren Karlsruher Publikums kein Ende nehmen: 39 Vorhänge. Matzerath war es auch, der sie in den Karlsruher Jahren in den Liedgesang einführte, noch in Karlsruhe entstand die erste Schallplatte mit Volksliedern, die später in ihrem Repertoire einen besonders bevorzugten Platz einnahmen.
Aber nun begann in München die eigentliche Karriere. Anfangs gab es noch einige Vorbehalte – die Sängerin war nur 1,58 m groß, und die Folgen der Kinderlähmung waren immer noch nicht ganz überwunden –, aber diese Bedenken wurden sehr schnell gegenstandslos. Nach zwei erfolgreich verlaufenen Gastspielen als Gilda und Königin der Nacht hatte die 28jährige Koloratursängerin während eines Gastspiels der Bayrischen Staatsoper in London ein glänzendes Entree als Fiakermilli („Arabella“). In den folgenden Jahrzehnten arbeitete sie mit allen namhaften Sängerinnen und Sängern und Dirigenten der Epoche zusammen. Erwähnt seien nur der Vorgänger Matzeraths in Karlsruhe, Joseph Keilberth, Ferenc Fricsay, Hans Knappertsbusch, Karl Böhm und Herbert von Karajan. Rufe nach Wien und Berlin ließen nicht lange auf sich warten. Lange Zeit nahm sie regelmäßig an den Festspielen von Salzburg, München, Genf und Edinburgh teil. Gastspiele an der Mailänder Skala, in Paris, Hamburg, Köln und an vielen anderen Opernbühnen bestätigten den mittlerweile internationalen Ruf der Sängerin, die aber stets das Münchener Ensemble als ihre künstlerische Heimat beibehielt. Besonders glanzvoll verliefen die Gastspiele der Deutschen Oper Berlin in Japan und die Lied- und Arientournee der Koloratursängerin in die Sowjetunion mit dem Pianisten Günther Weißenborn, der sie als legitime Nachfolgerin Maria Ivogüns und Erna Bergers betrachtete. Ihre Lieblingspartien – Königin der Nacht, Lucia di Lammermoor, Konstanze, Zerbinetta, Gilda – hat sie mehrere hundertmal gesungen; Ende der sechziger Jahre ging sie nach und nach in das lyrische Fach über und sang Pamina, Mimi, Micaela und Antonia. Die Butterfly hatte sie ins Auge gefaßt, verzichtete aber dann darauf in der Erkenntnis, daß sie über das erforderliche dramatische Volumen nicht verfügte.
Diese ihr sicher nicht leichtgewordene Entscheidung ist kennzeichnend für das Kunstverständnis der Sängerin und ihre Einsicht in die ihr gegebenen Möglichkeiten. Dieser Einsicht verdankte sie die in ihrem ureigensten Bereich, dem Ziergesang, erbrachten Leistungen, die sie zu einer der renommiertesten Sängerinnen der zweiten Jahrhunderthälfte werden ließen. Bis zum Ende ihrer sängerischen Laufbahn konnte sie so die Leuchtkraft ihrer Spitzentöne und den von vielen Kritikern gerühmten „Naturklang“ ihrer Stimme bewahren, „etwas Unberührtes, Naives, Kindhaftes“, das sie besonders mit ihrem Vorbild Erna Berger verband. Dabei waren ihre Koloraturen niemals nur Selbstzweck zur Schaustellung ihres technisch perfekten Könnens, sondern immer auch gleichzeitig „eruptive Ausdrucksmusik“ (Jürgen Kesting). Grenzen gab es freilich in anderer Hinsicht: im Gegensatz zu vielen ihrer Kolleginnen hielt sie sich von der zeitgenössischen Musik fern; sie habe dazu keine Einstellung gefunden, erklärte sie später diese Lakune.
Als sie sich 1978 von der Opernbühne verabschiedete, konnte sie auf eine erstaunliche Laufbahn zurückblicken, vom gelähmten Kind auf dem Leiterwagen zur gefeierten Virtuosin internationalen Ranges. Allerdings: die komplizierten Probleme, die mit der gleichzeitigen Mitgliedschaft in drei großen Opernhäusern, mit der Koordinierung der sich zeitweise überschlagenden Termine und den vertrackten Vertragsfragen verbunden waren, lagen während ihrer gesamten Laufbahn in besten Händen. Ihr Ehemann nahm, unter Verzicht auf eine eigene Theaterkarriere, diese Aufgaben wahr, und das Lebenswerk Erika Köths ist ohne diese Hilfestellung, die ihr Geborgenheit und Zuversicht schenkte, nicht vorstellbar – Zuversicht und Beistand insbesondere nach Mißerfolgen; das kam ja auch vor, vor allem dann, wenn „meschuggene“ (Köth) Regisseure am Werk waren oder Indispositionen, Risiko jedes Sängerlebens, den Stimmglanz trübten.
Von 1973 an gab sie, mit Freude und Pflichtgefühl, ihre Erfahrungen an den Nachwuchs in den Musikhochschulen von Köln und Mannheim-Heidelberg weiter – „Üben! Üben! Üben!“ –, sang nun auch in Oratorienaufführungen – dazu sei sie früher zu „zappelig“ gewesen, sagte sie –, gab viele Liederabende und trat auch im unvermeidlichen Fernsehen auf. Ihre funkelnde Lebensfreude, ihr Mutterwitz und ihr Humor blieben ihr bis in späte Lebenstage erhalten. Ihre Kunst ist in unzähligen Schallplatten für die Nachwelt dokumentiert.
Wie populär im besten Sinne Köth war und wie hoch ihre künstlerische Persönlichkeit geschätzt wurde, geht aus vielen Ehrungen hervor. Noch zu ihren Lebzeiten wurden Straßen in München-Baldham und Neustadt a. d. Weinstraße nach ihr benannt. Schon 1955 war sie in einem Alter, in dem Sängerinnen normalerweise den Status von Elevinnen einnehmen, bayrische Kammersängerin geworden, 1970 wurde sie mit derselben Würde in Berlin ausgezeichnet. 1959 wurde ihr der Bayrische Verdienstorden verliehen, 1975 das Verdienstkreuz 1. Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland, 1982 die Hermann-Löns-Medaille in Gold und 1983 der Verdienstorden des Landes Rheinland-Pfalz. Das Land Baden-Württemberg ernannte sie im Jahre 1985 zur Professorin.
Quellen: Mitteilungen von Ernst Dorn, Neustadt a. d. Weinstraße
Werke: Das harte, schöne Leben, in: Josef Müller-Marein/Hannes Reinhardt, Das musikalische Selbstporträt von Komponisten, Dirigenten, Instrumentalisten, Sängerinnen und Sängern unserer Zeit, 1963
Nachweis: Bildnachweise: in: Günter Werner, Ihr Herz ist voll Musik (Literatur), passim

Literatur: (Auswahl) Klaus Adam, Herzlichst: Erika Köth, 1969; Günter Werner, Ihr Herz ist voll Musik, 1984; Jürgen Kesting, Die großen Sänger Bd. 2, 1986; Jens Malte Fischer, Große Stimmen von Enrico Caruso bis Jessye Norman, 1993; Werner Pfister, Fritz Wunderlich, 1993
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