Schneider, Ria 

Andere Namensformen:
  • Schneider, Maria
Geburtsdatum/-ort: 04.11.1889;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 09.03.1980;  Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Stifterin
Kurzbiografie: 1895–ca. 1905 Schulbesuch in Karlsruhe, dann vielleicht Pensionat in Neuchâtel
um 1914 Ausbildung zur Krankenschwester durch das Bad. Rote Kreuz (Luisenschwestern)
1914–1918 Pflegerin u. Operationsschwester in Lazaretten
1938 Umzug von Ettlingen, Bismarckstr. 14, nach Freiburg, Wintererstr. 21
1958 XII. 10 Errichtung d. „Albert u. Ria Schneider Stiftung für das Alter“
1959–1964 finanzielle Förderung d. Renovierung des Diakonissenkrankenhauses u. des Diakonissenmutterhauses
1968 „Ria- u. Albert-Schneider-Heim“, Altenwohnheim in Freiburg, Hebelstr. 12, eingeweiht; Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens d. Bundesrepublik Deutschland
1974 II. 13 Gründung d. gemeinnützigen „Stiftungs GmbH“ mit zwei Dritteln d. Anteile beim DRK-Kreisverband Freiburg
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1919 (Karlsruhe) Albert Schneider (1884–1961), Kaufmann u. Fabrikant, ältester Sohn des Ettlinger Firmengründers Gottlob Schneider
Eltern: Vater: August Sutter (1851–1921), Kanzleidiener
Mutter: Sofie, geb. Heinrich
Geschwister: 2 Brüder
Kinder: keine
GND-ID: GND/1047557622

Biografie: Renate Liessem-Breinlinger (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 5 (2013), 381-383

„Ihr vielseitiges soziales Engagement hat in Freiburg Spuren hinterlassen“, so formulierte die BZ anlässlich des 90. Geburtstags von Schneider. Ihre Lebensleistung war es, dass sie von der frühen Nachkriegszeit an zusammen mit ihrem Ehemann, dann als Witwe die in der Dreisamstadt vertretenen caritativen Einrichtungen immer wieder finanziell förderte, überkonfessionell soziale Vorhaben der Pfarreien unterstützte, bei besonderen Anlässen, wie der jährlichen „Aktion Weihnachtswunsch“ der BZ, großzügig spendete, vor allem aber individuelle Not in ihrer Umgebung wahrnahm und spontan half. Nachhaltig präsent blieb ihr Engagement im Altenheim in der Hebelstraße, das ihren und den Namen ihres Mannes trägt, und durch die Stiftung, die sie als Witwe errichtet hat.
Schneider war Karlsruherin und wuchs im Herzen dieser Stadt auf: in der Adlerstraße, unweit vom Schloss und den badischen Ministerien. Ihr Vater arbeitete als Kanzleidiener, in einer untergeordneten Stellung also, dennoch im Umfeld des Hofes. Alle, die Schneider näher kannten, berichten, dass Schneider gerne von den badischen Monarchen sprach, besonders von Großherzogin Luise. In deren Schwesternschaft wurde sie ausgebildet, während des I. Weltkriegs war sie in Karlsruher Lazaretten tätig. Vielleicht empfing sie als Schwester entscheidende Prägungen für ihr weiteres Leben.
Über die Schulbildung von Schneider lassen sich nur Vermutungen anstellen. Ihr selbstsicheres Auftreten und ihr kultivierter Haushalt legen den Gedanken an eine Höhere Töchterschule nahe, ein Schweizer Pensionat, woran sich Menschen aus ihrem persönlichen Umfeld noch erinnern. Die wohl begrenzten finanziellen Mittel des Vaters lassen zunächst Zweifel daran aufkommen. Auf der anderen Seite kann aber darauf verwiesen werden, dass einer ihrer Brüder ein Universitätsstudium im Fach Pharmazie absolviert hat.
1919 heiratete Schneider den ältesten Sohn des Gottlob Schneider, dem in Ettlingen seit 1902 ein steiler Aufstieg als Unternehmer in der Sparte Filz- und Papierhandel und -produktion gelungen war. Bei Schneiders Hochzeit lebte der Patriarch noch; er habe sie jedoch nicht sonderlich gemocht. Das junge Paar wohnte fortan in Ettlingen. Zwischen Albert, ihrem Mann, und dessen Bruder Siegfried herrschte spürbar Konkurrenz, die sich auch den Ehefrauen mitteilte. Als belastend empfand Schneider wohl auch die Kinderlosigkeit ihrer Ehe, während die Familie des Schwagers stetig wuchs.
So darf es nicht verwundern, dass Albert Schneider 1936 die Chance nutzte, Ettlingen zu verlassen, um die Freiburger Papiergroßhandlung der jüdischen Unternehmerfamilie Weil in der Rosastraße zu übernehmen. Die Geschäfte dieser Firma hatte zuvor Heinrich Weil geführt, Eigentümer war Moritz Weil, der am 30. Juni 1936 sein Unternehmen an Albert Schneider verkaufte. Der Kaufpreis ist nicht belegt; man kann aber davon ausgehen, dass der Jude Weil wie später 1938 beim Verkauf seines Hauses in der Kunigunden-, heute: Prinz-Eugen-Straße, unter Wert verkaufen musste, so wie Weils „Umzug“ im Februar 1938 nach Basel tatsächlich ein Sich-in-Sicherheit-Bringen vor den NS-Machthabern war. Es ist bekannt, dass Freiburg bei der „Arisierung“ eine Vorreiterrolle einnahm; dennoch kann im Zusammenhang mit dem Schneiderschen Vermögen ein definitives Urteil über vermeintlichen „Arisierungsgewinn“ mangels Masse nicht gefällt werden: der Kaufvertrag scheint nicht mehr greifbar, ein Wiedergutmachungsverfahren im Zusammenhang mit dem Kauf der Papiergroßhandlung ist nicht belegt. In der Untersuchung von Andrea Bucher-Lembach zu diesem Thema ist der Verkauf von 1936 nur in der Übersicht erwähnt, im Text aber nicht ausgeführt.
Albert Schneiders Vermögen, woraus beide Eheleute dann stifteten, war aus mindestens fünf Quellen gespeist worden: der in Freiburg übernommenen Papiergroßhandlung, seiner Tätigkeit als Geschäftsführer des Freiburger Verkaufslagers der Gottlob Schneider&Söhne, dann als Gesellschafter der Papierschneider GmbH, Ettlingen, und als Kommanditist der Gottlob Schneider&Söhne KG, Ettlingen, Frankfurt am Main und Köln, sowie der Gebrüder Buhl KG, Ettlingen. Albert Schneider war im ersten Entnazifizierungsverfahren am 21. Februar 1947 zum Verlust von 10 Prozent seines seit 1940 erworbenen Vermögens verurteilt worden, am 16. April 1950 aber nur noch als „Mitläufer“ ohne weitere Sühnemaßnahmen eingestuft und so ohne Vermögenseinbußen davongekommen. Das Entnazifizierungsverfahren untersuchte freilich nur das Verhältnis zur NSDAP: Albert Schneider war zum Jahresanfang 1941 Parteimitglied geworden, hatte aber wohl nie eine aktive Rolle übernommen; seine Frau war nicht eingetreten. Nach eventuellem „Arisierungsgewinn“ war bei der Entnazifizierung überhaupt nicht gefragt worden und von einem Restitutionsbegehren der Familie Weil im Zusammenhang mit der Papiergroßhandlung ist nach 1945 anders als beim Haus in der heutigen Prinz-Eugen-Straße 26 nichts bekannt.
Seit 1938 lebte das Ehepaar Schneider in der Wintererstraße 21, einem Anwesen, zu dem ein ausgedehntes Grundstück am Schlossberghang gehörte. Das Wohnhaus wurde 1944 durch eine Fliegerbombe beschädigt, weshalb die Eheleute in den ersten Nachkriegsjahren in der Lerchenstraße und der Hansastraße unterkamen. Um 1950 ließen sie sich eine auf ihre persönlichen Bedürfnisse zugeschnittene Villa oberhalb des alten Hauses bauen, in der sie noch zehn gemeinsame Jahre verbrachten. In der Witwenzeit, die 1961 begann, wurde ihr Robert Freibrück, ein Ordensgeistlicher aus dem Trappisten-Kloster Mariawald in der Eifel, zum wichtigen Berater. Schneider hatte ihn bei einer Kur in Baden-Baden kennen gelernt, für ihre caritative Tätigkeit eigens nach Freiburg geholt und ihm für seine Privatandachten oberhalb der Villa sogar eine Kapelle bauen lassen. In den letzten Jahren nahm der Pater für Schneider die Funktion des persönlichen Betreuers wahr.
Die soziale Verpflichtung des Eigentums, wie sie im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland gefordert wird, bildete von den 1950er-Jahren an die wichtigste Lebensaufgabe für Schneider und ihren Ehemann. Schon 1958 hatten sie ihre „Stiftung für das Alter“ errichtet, die sie aber schon zu Beginn des Jahres 1961 wieder auflösten, da sie sich durch das Stiftungsstatut in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt fühlten. Das verbliebene Stiftungskapital und ein Wohnhaus in der Büggenreuterstraße ging an das Evangelische Stift in Freiburg. Etwa gleichzeitig förderte das Ehepaar mit beachtlichem Kapitaleinsatz die Renovierung des damaligen Diakonissenkrankenhauses an der Hauptstraße in Herdern. Das Gebäude befindet sich inzwischen im Landesbesitz und ist Teil der Universitätsklinik; den modernen Backsteinbau, heute ein Hörsaal, hatte Schneider seinerzeit im Park als Kapelle errichten lassen.
Nachhaltige Wirkung ihres caritativen Engagements wollte Schneider 1974 durch die Errichtung der gemeinnützigen „Ria- Schneider-Stiftung GmbH“ erreichen. Das Stiftungsvermögen bestand aus Kapital und Immobilien und sollte unverschuldet oder vorübergehend in Not Geratene unterstützen. Über etliche Jahre hinweg konnten z.B. alte Menschen im Freiburger Westen einen regelmäßigen Wäschedienst nutzen. Zu den Gesellschaftern gehört neben den Erben bis in die Gegenwart das Deutsche Rote Kreuz.
Öffentliche Anerkennung wurde Schneider 1968 zuteil, als sie das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland erhielt. Ein letzter Höhepunkt im Leben der in Freiburg bekannten und wegen ihrer Mildtätigkeit geschätzten Frau war ihr 90. Geburtstag. Sie freute sich über den Besuch des Oberbürgermeisters Keidel, der namens der Freiburger Bürgerschaft gratulierte. Mit ihm plauderte sie über Karlsruhe, die Stadt, die beider Biographien verband. Sie ahnte aber schon ihr nahes Ende und äußerte „ruhig, aber mit der ihr eigenen Bestimmtheit, ihre „Zeit“ sei abgelaufen“ (BZ, 12.3.1980). Wenige Monate später verstarb sie. Erinnerungstafeln an das Stifterehepaar befinden sich im Feierabendhaus der Diakonissen an der Burgunderstraße.
Quellen: StAF F 30/1, 5507, Bestand RP Freiburg, Albert u. Ria Schneider Stiftung für das Alter 1959–1964, D 180/2, 51575, D 180/16 u. D180/11 Nr. 155, Entnazifizierungsakten Albert Schneider u. polit. Säuberung d. Wirtschaft, W 134, 085001 a-l, Aufnahmen von Willy Pragher: Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an Schneider am 20.8.1968; Amtsgericht Freiburg, Registergericht, Handelsregister Abt. B Nr. 1071 vom 13.2.1974, Stiftungs GmbH; StadtA Freiburg C 5, 431, Altersheime, u. 2593, Ev. Stift, Meldekartei zu Schneider u. Weil, OI A. Hefele; BZ vom 3.11.1979 u. vom 5.11.1979; Schreiben der Ordenskanzlei des Bundespräsidialamts Berlin vom 9. Mai 2010 an den Herausgeber; Auskünfte von Wolfgang Fiek, Dr. Kurt Schillinger, Werner Bergamelli, Gerhard u. Mike Thöni, Kirstin Köllner, alle Freiburg, u. Christian Schneider, Ettlingen, Bruder Konrad, Kloster Mariawald, Registergericht Freiburg; Inschriften-Tafeln im Diakonissen-Mutterhaus Burgunderstraße 3; Auskunft des Steuerbüros Dr. K. Schillinger Freiburg vom Nov. 2012.
Nachweis: Bildnachweise: STAF, Sammlung Pragher; StadtA Freiburg, Fotosammlung; 125 Jahre Ev. Stift, 1984, 33 u. BZ vom 12.3.1980, 21 (vgl. Quellen u. Literatur).

Literatur: 100 Jahre Ev. Stift 1859–1959, 1959, 71; BZ vom 3. u. 5.11.1979; „Ihre Zuwendung galt den Leidenden“, ebd. vom 12.3.1980; 125 Jahre Ev. Stift Freiburg im Breisgau 1858–1984, 1984, 33; Hans Schneider, Freiburger G’schichten. Bericht aus einer kleinen Großstadt II, 1986, 119; Sabine Lehmkühler, 100 Jahre Schneidersöhne. People and Paper, 2002; Andrea Bucher-Lembach, …wie Hunde auf ein Stück Brot. Die Arisierung u. d. Versuch d. Wiedergutmachung in Freiburg, 2004, 314.
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