Fuhr, Xaver 

Geburtsdatum/-ort: 23.09.1898;  Mannheim-Neckarau
Sterbedatum/-ort: 16.12.1973; Regensburg
Beruf/Funktion:
  • Maler und Graphiker
Kurzbiografie: Malerlehre bei Firma Drexler, Mannheim
1914-1918 Feldartillerie, Straßburg
nach 1918 Dekorationsmaler, Fabrikarbeiter bei Benz in Mannheim
1920 Erste Bildankäufe durch die Kunsthalle Mannheim; Malunterricht bei Hacker, Heidelberg und in einer Privatschule in Ludwigshafen
1928 Stipendium der Overbeck-Gesellschaft, Lübeck
um 1928 Einzelausstellung Galerie Neumann-Nierendorf, Berlin
um 1933 Entfernung von Arbeiten aus öffentlichen Sammlungen
1934/35 Ausstellung in der Kestner-Gesellschaft, Hannover
1940 Ausstellung in der Galerie Günther Franke, München; Aufnahme in die Reichskammer der bildenden Künste
1943 Okt. Bombenangriff zerstört Wohnung und einen Teil der Arbeiten; Umzug nach Nabburg, Schemmstr. 217, dann Rentamtsplatz 50
1946 Apr. große Einzelausstellung in der Villa Stuck, München
1946 Jul.-1966 30. Sep. Professur an der Akademie der Bildenden Künste, München
1950 Okt. Übersiedlung nach Regensburg, Albertstr. 7
1955 Teilnahme an der documenta 1, Kassel
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev., seit 1923 konfessionslos
Auszeichnungen: Preis der Preußischen Akademie, Berlin, (1930); Villa-Romana-Preis, Florenz (1931); Kunstpreis der Stadt Stuttgart (1932); Albertus-Magnus-Medaille der Stadt Regensburg (1958); Ernennung zum Honorarprofessor und Hans-Thoma-Staatsgedenkpreis der Landesregierung von Baden-Württemberg (1963); Kulturförderpreis Regensburg (1968)
Verheiratet: 1929 (Mannheim) Josefa (Joe) Christina, geb. Fiedler (1901-1970), Apothekerin
Eltern: Vater: Philipp Anton (1874-1930, Freitod), Anstreicher
Mutter: Susanna Katherina, geb. Berberich (geb. 1874)
Geschwister: 4: Sophie Anna, Susanne Katharina, Rosa Katharina, Philipp Anton (geb. zwischen 1900 und 1905)
Kinder: keine
GND-ID: GND/118694189

Biografie: Clemens Ottnad (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 4 (2007), 88-90

Die materielle Notlage der Familie zwang Fuhr im väterlichen Beruf als Anstreicher und in den Mannheimer Benz-Werken zu arbeiten. Im Selbststudium beschäftigte er sich nicht nur mit künstlerischen Techniken, sondern erlernte Latein und Griechisch, um klassisch-antike Literatur im Original lesen zu können. Neben Naturwissenschaften fesselte Fuhr die Psychoanalyse besonders. Gleich der bildenden Kunst machte sie ihm in einer „Innensicht“ Unbewusstes sichtbar und ordnete ursprünglich chaotische Spannungen. Er selbst definierte die Kunst als Religionsersatz. Angesichts seiner Menschenscheu hielt Fuhrs Ehefrau Joe im Wesentlichen den Kontakt zur Außenwelt aufrecht, obwohl sie im Oktober 1928 bei einer Laborexplosion schwere Gesichtsverletzungen erlitten hatte.
Während Ausstellungsbesuchen entwickelte Fuhr in Anschauung der Werke von Cézanne, Gauguin, Gogh, Picasso oder Utrillo einen eigenen Kolorismus. Gemeinhin wird sein Schaffen unter dem Begriff des Postexpressionismus subsumiert. In den Kompositionen verflechten starkfarbige und schwarze Linienfelder zarte Pastellflächen. Dabei trägt der Künstler zuerst die Farbe auf und konstruiert darüber die Lineatur. Insoweit kann man bei Fuhrs Arbeiten nicht eigentlich von Kontur sprechen. Die Fragmentarisierung der Bildfläche in kleine geometrische Einheiten sowie Architekturen als bevorzugte Darstellungsobjekte haben häufig zu Vergleichen mit Lyonel Feininger geführt. Die Vorliebe von Künstlern der Neuen Sachlichkeit, das Bildformat mittels elektrischer Leitungen, Bahngeleisen oder entlaubten Baumstämmen graphisch zu strukturieren, wird auch in Fuhrs Arbeiten sichtbar. Ohne bautopographische Details in den Mittelpunkt zu rücken, setzt er sich mit Konstruktionen der Sakralarchitektur auseinander. Die Farbflächen, die von schwarzen, später auch weißen Linienkonstrukten überspannt werden, verdeutlichen die Technisierung einer im Übrigen meist menschenleeren Umwelt. Erst um 1930 taucht die menschliche Figur wieder häufiger in Darstellungen auf. Durch den hoch über dem Erdboden angesetzten Augenpunkt und die Dekonstruktion mathematisch genauer Perspektivlinien bricht sich seine Vorstellungswelt in einem individuellen Prisma, physische Formen sind in der Schwebe gehalten. Die Dekonstruktion der sichtbaren Welt in Farbfeldern wird durch die Überlagerung graphischer Strukturen aufgehoben und rekonstruiert. Fuhrs Darstellungen beziehen sich dabei immer auf eine reale Welt, Architektur und Stadtansichten, die menschliche Figur und Stillleben.
Um 1925 erreichte Fuhr in seinem Schaffen den Durchbruch zu einem selbständigen Stil. Gleichzeitig zerstörte er fast alle seine frühen Werke. Erste öffentliche Ankäufe erfolgten von Seiten der Mannheimer Kunsthalle. 1928 brachte Fuhr den Mietzins für das in einem Seitenflügel des Mannheimer Schlosses untergebrachte städtische Atelier jedoch nicht mehr auf. Wegen Mittellosigkeit wurde Fuhr von der Bürgersteuer in Mannheim befreit, lebte und arbeitete auch in der Folge in sehr bescheidenen Verhältnissen. Er war auf die Unterstützung des Wohlfahrtsamtes und von Freunden, wie dem Karlsruher Rechtsanwalt Dr. Ernst M. Adler, angewiesen, der 1988 der Städtischen Galerie Karlsruhe 31 Gemälde und Aquarelle Fuhrs stiftete. Von 1928 bis Ende der 1930er Jahre wurde Fuhrs Werk von bekannten Kunsthistorikern wie Franz Roh rezipiert, eine hinlängliche Sicherung seiner Existenz konnten die verschiedenen Ankäufe jedoch nicht gewährleisten.
In der Mannheimer Kunsthalle wurden im April 1933 drei Gemälde Fuhrs in der Schau „Kulturbolschewistische Bilder“ gezeigt, gleichzeitig war er aber auch in der NS-Musterabteilung für „gute Kunst“ vertreten. Im Januar 1936 verfügte der Mannheimer Oberbürgermeister die Neuhängung der aus der Kunsthalle entfernten Bilder, die aufgrund des Einspruches der Kreisleitung der NSDAP aber unterblieb. Zahlreiche Werke Fuhrs wurden aus deutschen Museen verbannt, neun davon 1937 in der Präsentation „Entartete Kunst“ in München und Berlin öffentlich diffamiert. Das inzwischen ausgesprochene Berufsverbot wurde mittels Haussuchungen streng überwacht, und Fuhr wechselte von der Ölmalerei zum Aquarell über, um leichter im Geheimen arbeiten zu können. Andererseits nahm ihn im Jahr 1940 die Reichskammer der bildenden Künste auf. 1942 wurde er wegen eines angeblichen „Heimtückevergehens“ und „Wehrkraftzersetzung“ denunziert. Ein Bombenangriff im Oktober 1943 zerstörte die Mannheimer Wohnung und einen Großteil des künstlerischen Werkes. Das Ehepaar Fuhr siedelte nach Nabburg über.
Die Nabburger Werkphase umfasst Fuhrs im Zeitraum 1943 bis 1951 entstandene Arbeiten. Die Farbwerte der Aquarelle und Gemälde lösen sich zunehmend in einer helleren Palette auf; mit phosphoreszierendem Weiß sind Liniengerüste und Flächenkompartimente angelegt, die das sphärische Schweben dieser Kompositionen ausmachen. Ende der 1940er Jahre beschäftigte sich Fuhr kurze Zeit mit druckgraphischen Techniken und kunstgewerblichen Arbeiten. Bis 1960 gab er dann die Aquarelltechnik auf. Sport- und Autobilder entstanden ebenso wie Darstellungen exotischer Orte, die er selbst nie gesehen hatte, wie die um 1945 photographischen Vorlagen nachempfundenen Afrikabilder. Die Faszination des Reisens kehrt in den marinen Motiven wieder, Schiffe und Häfen erstrecken sich in Fuhrs Bildwelt vom Mannheimer Rheinhafen bis in die Südsee. 1946 nahm Fuhr um des finanziellen Auskommens willen eine Professur an der Münchner Kunstakademie an, die er im folgenden Jahr antrat. Zunächst pendelte er von Nabburg, später von Regensburg nach München, wo er nur wenige Tage in der Woche unterrichtete. Er übernachtete im Privatatelier in der Akademie. An die Möglichkeit, Kunst lehren zu können, glaubte Fuhr nicht und philosophierte vielmehr mit den Studenten. Fuhrs Einstellung erschwerte die Kommunikation mit seinen Kollegen: „Die sogenannten ‚Kunsterzieher‘ sind die Totengräber der Kunst“.
Die finanziellen Mittel, die aus dem Verkauf des künstlerischen Nachlasses erlöst werden sollten, bestimmte Fuhr zur Ausstattung einer „Joe und X. Fuhr-Stiftung“, die „die Unterstützung notleidender Tiere und bedürftiger Menschen“ zum Ziel hat. Drei Hauptprojekte konnten mit Mitteln der Stiftung inzwischen realisiert werden: das Werkverzeichnis der Gemälde und Aquarelle wurde von A. H. Zienicke 1984 vorgelegt, die Einrichtung des X. Fuhr-Preises, den die Alpirsbacher Galerie verleiht, und die Fuhr-Retrospektive zum 100. Geburtstag in Regensburg und Karlsruhe.
Quellen: Nachlass im Besitz d. Joe u. X. Fuhr-Stiftung, Regensburg – Nachlass 1970-1975: Nachlassverzeichnis Fuhr [NF], Nachlassverwaltung seit 1977 Wilko von Abercron, München; kath. Stadtpfarramt St. Martin, Amberg; Reichsunfallversicherung Berlin; Tauf- u. Trauregister rk. Pfarramt u. ev. Kirchengemeinde Eberbach; GLA Karlsruhe: Bezirksamt Mannheim; StadtA Mannheim: Reste d. Korrespondenz (1924-1925 u. 1928-1929), in: Oberbürgermeister d. Stadt Mannheim, auch: Standesamt Mannheim, Steueramt Mannheim u. postume Rundfunkbeiträge u. ä. über den Künstler; ev. Kirchengemeinde Mannheim-Neckarau; Akademie d. bildenden Künste, München; Bay. Staatsministerium für Unterricht u. Kultur; Standesamt Regensburg; Dr. Axel Hubertus Zienicke.
Nachweis: Bildnachweise: Zienicke, 1984; Regensburg/Karlsruhe (vgl. Lit.).

Literatur: Carl Linfert, Franz X. Fuhr, Potsdam o. J.; Fritz Nemitz, X. Fuhr, o. J.; Franz Roh, X. Fuhr-Mappe, 1947; Vollmer 2, 1955, 176; Willy Huppert, X. Fuhr, K.B. (masch., o. J.); Axel Hubertus Zienicke, X. Fuhr – Gemälde u. Aquarelle, 1984 (Werkverzeichnis, mit ausführl. Bibliographie, Ausstellungsverzeichnis 1926-1973); Matthias Arnold, X. Fuhr, in: Weltkunst, H. 5 vom 1.3.1990, 510-515 (Reihe: Dt. Postexpressionisten Folge 28); Gerhart Söhn, X. Fuhr – Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen, AKat. Graphik-Salon Gerhart Söhn, Düsseldorf 1991; X. Fuhr 1898-1973. Retrospektive, AKat. Städt. Galerie „Leerer Beutel“, Regensburg/Städt. Galerie Karlsruhe 1998/99.
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