Scherer, Karlheinz 

Geburtsdatum/-ort: 08.10.1929;  Lörrach
Sterbedatum/-ort: 13.01.2008;  Efringen-Kirchen
Beruf/Funktion:
  • Maler
Kurzbiografie:

1936–1947 Volksschule in Binzen bis 1940 dann Hans-Thoma-Gymnasium in Lörrach; 1946 Schulpreis im Zeichnen

1948–1950 Lehre im elterlichen Kfz-Betrieb

1951–1956 Studium der Malerei an der Kunstakademie Freiburg

1955–1956 Meisterschüler von Adolf Strübe

1961 Erste Ausstellungen, u. a. in der Galerie Krohn in Badenweiler

1965 Hans-Thoma-Staatspreis des Landes Baden-Württemberg

1970 Übersiedlung nach Müllheim, längere Aufenthalte in Köln

1974 Paris-Aufenthalt im Rahmen des „Cité Internationale des Arts“-Stipendiums Baden-Württemberg

1975 Ausbau eines alten Staffelgiebelhauses in Efringen-Kirchen als Verbindung von Architektur, Raum, Kunst und Design zu künstlerischem Gesamtkonzept

1982 Reinhold-Schneider Preis; Mentor und Freund junger Künstler der Region

1997–2003 Gestaltung des historischen „Däublin“-Hauses in Kirchen und letzte großformatige Arbeiten

Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet:

Margarete, geb. Glasstetter (geb. 1938)


Eltern:

Vater: Karl (geb. 1899), KFZ-Mechaniker

Mutter: Emma, geb. Möschlin (geb. 1906), Hausfrau


Geschwister:

Marlene (geb. 1938)

GND-ID: GND/133248534

Biografie: Margitta Brinkmann (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 464-467

Scherer gehörte zu den Vertretern der „Neuen Figuration“ im deutschen Südwesten. Sein Werk stellt eine eigenwillige Position zwischen Pattern und Pop-Art dar. Als Postmoderner avant la lettre versöhnte er auf singuläre Weise die in der badischen Malerei tief verwurzelte Gegenständlichkeit mit einer rhythmisch-ornamentalen Abstraktion.

Scherer wuchs mit der jüngeren Schwester Marlene In Binzen auf, wo die Eltern eine Kfz-Werkstatt betrieben. Der Bruder des Vaters, der expressionistische Bildhauer und Maler Hermann Scherer (1893–1927), starb jung, zwei Jahre vor Scherers Geburt. Früh erwies sich das künstlerische Talent des Jungen, der 1946 mit dem Schulpreis im Zeichnen ausgezeichnet wurde. Wie so viele seiner Generation brach er kurz vor dem Abitur die Schule ab und begann eine Automechanikerlehre in der elterlichen Werkstatt. Dort sah der Maler Adolf Strübe Zeichnungen des Lehrlings und riet ihm zu einer künstlerischen Ausbildung. Derart ermutigt schrieb Scherer sich 1951 an der Freiburger Akademie ein, wo er bis 1956 Malerei bei Strübe studierte; die beiden letzten Jahre als dessen Meisterschüler. Bereits 1954 erhielt der Absolvent den Landeskunstpreis der Jugend für seine gegenständlichen, noch stark von der klassischen Moderne geprägten Bildwerke.

Zu seinen engsten Freunden an der Akademie zählten der Maler und Literat Christoph Meckel (geb. 1935), mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband, und die Jugendbuchautorin und -illustratorin Lilo Fromm (geb. 1928). Seine spätere Frau gehörte gleichfalls zum Kreis der Kommilitonen.

Nach der Akademiezeit wohnte und arbeitete Scherer in einem kleinen Bauernhaus in Binzen, wo auch Lilo Fromm Atelier und Wohnung nahm. Bald entstanden zahlreiche kleine Aquarelle lyrisch- erzählerischen, teils auch derb-erotischen Charakters und repräsentative Stillleben. Rhythmus, Farbklang und Motivik verraten bereits die individuelle Handschrift.

Zum Broterwerb restaurierte Scherer zusammen mit dem Maler und Grafiker Jürgen Brodwolf (geb. 1932) Bildwerke in Dorfkirchen der Region. Der Kontakt zur Galerie Krohn in Badenweiler bot Orientierung und Austausch mit der jungen Kunstszene des Südwestens, zudem ergaben sich dort Ausstellungsmöglichkeiten. Scherer schloss Freundschaft mit Bernd Völkle (geb. 1940), Horst Antes (geb. 1936), Peter Dreher (geb. 1932), Dieter Krieg (1937–2005), Alfonso Hüppi (geb. 1935) und Hans Baschang (1937–2017).

Der Siegeszug der amerikanischen Popart bestätigte und beflügelte den Künstler, der als Vertreter der süddeutschen „Neuen Figuration“ trotz gegenläufiger Tendenzen stets an Gegenstand und Figur festgehalten hatte. Um die Wende zu den 1970er Jahren bestimmten Alltagsmotive und ironische Zitate süddeutscher „Markenzeichen“ seine Bildwelt. Jetzt war Scherer ganz bei sich und in seiner Zeit angekommen. Er malte Weinköniginnen, Lederhosen, Krawatten für die Berge und den röhrenden Hirschen über der Polsterlandschaft und entwarf so eine eigenwillige regionale Interpretation des Neuen Realismus „ironisch-trashige Heimat-Pop–Idyllen“. (Brinkmann, in: Freiburg, 2010, S. 29)

1970 heiratete Scherer seine langjährige Freundin, die er in den späten 1960ern in zahlreichen Bildern als „Dame auf grünem Sofa“ porträtiert hatte. Das grüne Sofa war mittlerweile in Köln beheimatet, dem neuen Wohnsitz seiner Frau. Scherer pendelte in den nächsten Jahren zwischen Müllheim und Köln, wo er mit Michael Buthe (1944–1994), Udo Kier (geb. 1944), C. O. Paeffgen (geb. 1933) und Sigmar Polke (1941–2010) Freundschaften schloss.

Probedrucke aus Michael Buthes „Ikarus“-Graphikedition, von Margret Scherer herausgegeben, bildeten 1971 die Grundlage einer ersten Serie von Übermalungen des Künstlers. Buthes Goldpünktchen-Sieb über einem Ikarus-Motiv der Jahrhundertwende diente als Malvorwurf zu eigenen Bilderfindungen.

Das Prinzip des Aneignens und Verfremdens bestehenden Bildmaterials wurde ab 1972 in einem weiteren Konvolut von Übermalungen fruchtbar. Als Malgrund dienten jetzt Bildseiten aus Zeitschriften und Modemagazinen. Die zum Teil ins Groteske überformten Motive konterkarierten die haltlosen Versprechen der Werbewirtschaft von Schönheit und Glück. „Mit dynamisch-farbiger Pinselhandschrift und reichhaltiger Phantasie erfasst er den Inhalt seines Themas, zuweilen auch nahe bei grotesk-satirischen Untertönen.“ (Hänel, Freiburg, 2000, S. 85).

Scherers Skepsis galt jedoch nicht nur dem schönen Schein kommerzieller Bildwelten. Das zeigte sich in einer Werkgruppe ornamental-abstrakter Pattern-Bilder. Wieder spielte Vorgefundenes, Vorgeformtes eine entscheidende Rolle. Mit dem Einsatz von Motivwalzen – einst als Tapetenersatz eingesetzt – und handelsüblicher Abtönfarbe reflektierte er den in der informellen Malerei gepflegten Mythos von künstlerischer Genialität und Inspiration: Handwerksmaterial statt Ölfarben und Palette, und der schöpferische Akt bestand aus einem mechanischen Reproduktionsverfahren. Seine ornamentalen Arbeiten hieß er oftmals „Tapete“ oder „Vorhang“ und bot statt tieferer Welterkenntnis, dem frühen Versprechen der abstrakten Malerei, Florales, Geflecktes oder Walt Disneys Bambi.

Das Interesse an Rhythmus, Struktur und akzentuierten Farbklängen, die seine figürlichen Darstellungen so überzeugend gestalteten, führten Scherer bald nach den Matrizenbildern auch zu einer malerisch angelegten Ornamentik. Der Rapport wurde dabei zum prägenden Bildmittel. Visuelle Kulinarik und Spottlust gingen auch hier Hand in Hand: weiblich konnotierte Motivwahl und der im Kunsthandwerklichen beheimatete Rapport persiflierten den männlichen Geniekult modernistischer Avantgarden. Fortan waren Figuration und Abstraktion für Scherer keine Gegensätze mehr, er bediente sich ihrer je nach Bedarf und in unterschiedlicher Durchmischung.

Nach einem Paris-Stipendium 1974 erwarb Scherer ein altes Staffelgiebelhaus in (Efringen-)Kirchen, das er nach eigenen Plänen umbaute, erweiterte und ausstattete, seiner „programmatischen ästhetischen Grundhaltung [gemäß], die sich wechselweise und ohne graduelle Unterschiede mal im Leben und mal in der Kunst ausdrückt.“ (H.-J. Müller, in: Freiburg, 1980) Das Anwesen war Schauplatz von Konzerten und Events der Kulturszene im Großraum Südbaden/ Basel und Anziehungspunkt für junge Künstler der Region. Es entwickelte sich eine lebenslange Freundschaft zu den Städelschülern Peter Bosshart (geb. 1966) und Kirsten Oswald- Doyle (geb. 1965).

In den 1980er Jahren begann Scherer eine Werkgruppe großformatiger Bilder nach Motiven „alter Meister“, die ihn bis in die 1990er Jahre beschäftigte. Ausgangspunkt waren eigenhändige Kopien berühmter Gemälde der Kunstgeschichte, die der Künstler immer wieder, oftmals über Jahre, exzessiv bearbeitete und übermalte. Die neuen Schichten überwucherten die historischen Sujets. Ein dichtes Gitterwerk von Formen und Farben versperrte den Blick in die Tiefe – im Vordergrund steht die rhythmisierte Fläche.

Dennoch war die Räumlichkeit der Darstellung nicht ganz eindeutig. Hier und da gab es dezente Fingerzeige auf die verborgene zweite, hinter der bewegten Oberfläche liegende Bildebene. Dies kann als Andeutung eines dem Auge verschlossenen Tiefenraums gelesen werden oder als Hinweis darauf, dass Malerei ein Prozess, eine Schichtung von Farbe auf einem Bildträger ist. Illusionistisches Trugbild oder farbgesättigte Materie? Diese Bilder sind stets auch eine Reflexion über das Wesen der Malerei.

Gleiches gilt für eine Serie von „Fensterbildern“, seit je Sujet und Metapher für die Malerei als Blick in einen imaginären Tiefenraum. Hier aber versperren Ranke und Busch, Laub und Kraut die Aussicht; vielfach gebrochene Lichter und Spiegelungen lassen die Grenze zwischen draußen und drinnen verschwimmen. Die Darstellung schnurrt auf den Raum zwischen Fensterkreuz, Glas und Vegetation zusammen und fällt mit dem flächigen Malgrund fast in eins.

Auch Scherer Frauenbildnisse der Zeit sind alles andere als eindeutig. Das „Scheusal“ (o. J) etwa, vordergründig das Abbild einer weiblichen Halbfigur im Bustier, zeigt die Züge des Künstlers, und sogar madonnengleiche Schöne irrlichtern gefährlich.

Im letzten Lebensjahrzehnt variierte Scherer seine Bildthemen in zahlreichen Aquarellen. Es entstanden von einem dominanten Farbklang bestimmte Blätter, die groteske und phantastische Motive, aber auch Strukturen der „Vorhänge“ und „Tapeten“ wieder aufnahmen. Der Lebenskreis schloss sich auch im Persönlichen: im Jahr 2006 heirateten er und seine zwischenzeitlich von ihm geschiedene Frau ein zweites Mal. Scherer starb 78-jährig nach längerer Krankheit in seinem Haus in Kirchen.

Quellen:

HStA Stuttgart EA 3/203 Bü 594, Verleihung des Hans-Thoma-Gedenkpreises; Zeitungsausschnitt-Sammlung, Briefe und Dokumente im Nachlass Scherer in Efringen-Kirchen.

Werke: Museum Ostwall Dortmund; Kupferstichkabinett Basel; Museum für Neue Kunst Freiburg im Breisgau; Markgräfler Museum Müllheim; Ludwig-Thoma-Kunstmuseum Bernau; Dreiländermuseum Lörrach; Landratsamt Lörrach; Regierungspräsidium Freiburg im Breisgau; künstlerischer Nachlass Scherer in Efringen-Kirchen, rund 80 Ölgemälde sowie Zeichnungen, Aquarelle, Farbkreiden, Gouachen und Druckgraphik.
Nachweis: Bildnachweise: Foto (1983), S. 462, Walter Bronner, Nachlass Scherer in Efringen-Kirchen. – Selbstportraits und weitere Portraitfotografien ebd.; StA Freiburg W 134 Nr. 118774g, Slg. Willy Pragher, Foto Preisverleihung Reinhold-Schneider-Preis, Karlheinz Scherer, B. Völkle, S. Juvan vom 30.4.1982.

Literatur:

Kunstpreis der Jugend 1962, Württembergischer Kunstverein, 1962; Künstlerbund Baden-Württemberg, Jahresausst. 1967, 1974 und 1975; Gesellschaft der Freunde Junger Kunst Baden-Baden, Jahresausstellungen 1967, 1968 und 1975; Wege 1967, Museum am Ostwall, Dortmund, 1967; tendance 67, Goethe-Institut Paris, 1967; Galerie Wilbrand Köln (Hg.), Internat. Handzeichnungen II. Kat. 10, 1974, 202–205; Karlheinz Scherer. Malerei 1970 – 1980, Kunstverein Freiburg, 1980; Comeback der Malerei? in: das kunstwerk 3/XXXIII, 1980; R.-G. Dienst, Deutsche Kunst – eine neue Generation VII, 1980, 6, und XXXIII, 1980, 3, 5, 16 f.; Ogni Stanza un Quadro Concluso, in: Abitare 192, März 1981, 10–19; Kunsthaus, in: The World of Interiors, Nov. 1983, 120–131; Ausstellung zeitgenössischer Künstler zur Einweihung der Villa Schriever Baden-Baden, 1984; Museum am Ostwall Dortmund (Hg.), Kunst des 20. Jahrhunderts. Die Sammlung, 1984, 13, 223; Edged Collection, 1986, 270–279; Hans-Thoma-Preisträger. Hans-Thoma-Museum Bernau, 1988; Jürgen Brodwolf und Karlheinz Scherer, Markgräfler Museum Müllheim, 1995; Hans H. Hofstätter, Berthold Hänel, Maler des Markgräflerlandes, 2000, 85–87; Hans H. Hofstätter, Paradies in Bildern, 2001, 72–73; Schattenfuge, Skimuseum Hinterzarten, 2010; Zeitspur – Jürgen Brodwolf. Franz Gutmann. Karlheinz Scherer. Artur Stoll. Bernd Völkle, 2010, 28–39.

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