Dodel, Wilhelm Adam 

Geburtsdatum/-ort: 25.03.1850;  Ebingen
Sterbedatum/-ort: 24.01.1934; Moosbach-Rummelsberg
Beruf/Funktion:
  • Richter, volkstümliches Original
Kurzbiografie: 1869 Abitur am Obergymnasium Tübingen
1869–1871 Studium der Rechtswiss. in Heidelberg
1870/71 Einjährig-Freiwilliger: Teilnahme am Deutsch-Französischen Krieg; Kriegsgedenkmünze für die Feldzüge 1870/71
1871–1874 Studium der Rechtswiss. in Tübingen, Erste höhere Dienstprüfung zum Justizreferendar
1875 Referendar in Rottweil
1876 Zweite Dienstprüfung zum Justizassessor in Stuttgart;
1876–1879 Hilfsrichter in Reutlingen und Ulm
1879 Amtsrichter in Marbach am Neckar
1892 Oberamtsrichter am Amtsgericht Blaubeuren
1909 Landgerichtsrat am Amtsgericht Blaubeuren
1911 Ritterkreuz der Friedrichsordens 1. Kl.
1913 Ruhestand in Ulm
Weitere Angaben zur Person: Religion: ev.
Verheiratet: 1882 Sofie, geb. Speidel (1864–1932), Tochter des Gastwirtes und Bierbrauers Josef Speidel, aus Söflingen bei Ulm
Eltern: Vater: Wilhelm Adam Dodel (1819–1908), Rotgerber in Ebingen
Mutter: Maria Magdalene, geb. Wohnhas (1824–1863)
Geschwister: 1 Schwester Marie Christine (geboren/gestorben 1851); 1 Halbschwester Anna Maria (geboren/gestorben 1848)
Kinder: 3:
Sohn namenlos (geboren/gestorben 1883);
Wilhelm Friedrich (1897–1971), Dr. med., Arzt;
Maria Magdalena (1887–1894);
Enkel: Werner Dodel, München
GND-ID: GND/139284397

Biografie: Martin Otto (Autor)
Aus: Württembergische Biographien 3 (2017), 33-35

Geboren in einer wohlhabenden, auf der Schwäbischen Alb verwurzelten Handwerkerfamilie (Geburtshaus Gerbergasse) besuchte Dodel von 1856 bis 1860 zunächst die Volksschule in Ebingen, bis 1865 die „Gewerbliche Fortbildungsschule“ in Ebingen und schließlich das Obergymnasium Tübingen, das heutige Uhland-Gymnasium, an dem er 1869 das Abitur ablegte. Dodel studierte im Anschluss Rechtswissenschaften in Heidelberg. Während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 leistete er seinen Wehrdienst als Einjährig-Freiwilliger. Dodel wechselte seinen Studienort und belegte ab 1870 die württembergische Landesuniversität Tübingen; er hörte u. a. bei den Professoren Oskar Bülow (1837 – 1907), Friedrich von Thudichum (1831 – 1913), Adolf Wach (1843 – 1926) und Gustav von Mandry (1832 – 1902). 1874 bestand er mit einer überdurchschnittlichen Note die erste höhere Justizprüfung, während des Referendariates war er am Amtsgericht Rottweil eingesetzt. Nach der ebenfalls herausragend bestandenen zweiten Justizprüfung war Dodel dann als Hilfsrichter in Reutlingen und Ulm, dann als Justizassessor in Aalen, Sulz und Marbach tätig. 1879 erhielt er als Amtsrichter in Marbach am Neckar seine erste Planstelle. Seine Eheschließung 1882 verschwägerte ihn mit der Ulmer Gastwirte- und Brauerfamilie Speidel (Brauhaus zum Schatten). 1892 wurde Dodel als Oberamtsrichter und dienstaufsichtsführender Amtsrichter an das Amtsgericht Blaubeuren versetzt. Dodel war der einzige Richter an dem ansonsten mit einem Gerichtsschreiber besetzten Gericht, das für den ländlich geprägten und vorwiegend protestantischen Oberamtsbezirk Blaubeuren mit knapp 20 000 Einwohnern zuständig war. Für die Mehrheit der Einwohner verkörperte Dodel das Gesicht der Justiz; in zahlreichen Verhandlungen als Einzelrichter und „Richterkönig am kleinen Gericht auf dem Blaubeurer Klosterhof“ (Karl Setz) war Dodel so mehr als eine lokale Honoration (1892 Mitglied Schwäbischer Albverein), sondern ein volkstümlicher Richter, der mit seiner Klientel auch im lokalen Dialekt sprechen konnte und dem auch die Milieus der kleinbürgerlichen Mittel- und Unterschichten vertraut waren. Niederschlag fand dies in Titulierungen wie „Schwäbischer Salomo“ oder „Dodel von Blaubeuren.“ Nicht zu unterschätzen ist, dass Dodel die Einführung des BGB ab dem 1. Januar 1900 richterlich begleitete.
1914 beendete Dodel wohl aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig seine Justizlaufbahn und zog mit seiner Familie nach Ulm, wo der noch minderjährige Sohn das Gymnasium besuchte. Nach dem Tod seiner Ehefrau zog Dodel von seinem Alterswohnsitz Ulm zu seinem Sohn nach Moosbach (Mittelfranken) in das Siechenheim der Rummelsberger Anstalten, einer Einrichtung der Anstaltsdiakonie. Unter nicht ganz geklärten Umständen verstarb der altersschwache Dodel hier 1934; seine letzte Ruhestätte fand er auf dem Friedhof in Rummelsberg. Zwar ist ein Teil der Akten von Dodel bis heute überliefert; das Bild des Richteroriginals bestätigen sie jedoch nur bedingt. Dodel war demnach in seiner Dezernatsarbeit effizient, rechtsstaatlich und von ausgeprägtem Judiz, dabei aber ein akkurat und präzise arbeitender Richter ohne Allüren; eine Sonderstellung in der württembergischen Justiz und über deren Kreise hinaus kann dies allein aber nicht erklären. Außerhalb seiner Amtsschriften hat Dodel kaum schriftliche Zeugnisse hinterlassen und sich zu justizpolitischen Zusammenhängen nicht geäußert. Auch die angebliche Feindschaft zu dem württembergischen Justizminister Eduard von Faber (1822 – 1907) mit entsprechenden Konsequenzen für die Laufbahn von Dodel wurde nie von Dodel behauptet, sondern findet sich erst bei erheblich jüngeren Quellen, vornehmlich bei Karl Setz. Weder die Beförderungen noch die Auszeichnungen von Dodel lassen Rückschlüsse auf eine Benachteiligung zu; zudem unterzeichnete Faber auch die Ernennung Dodels zum Oberamtsrichter in Blaubeuren. Erste schriftliche Berichte zu Dodel lassen sich erst in den 20er Jahren in der lokalen Presse (Ulmer Tagblatt) vereinzelt nachweisen; wahrscheinlich sind Ulm und Heidenheim auch der Ausgangspunkt der Dodel-Anekdoten. 1935 bezeichnete der Journalist und spätere Herausgeber der „Heidenheimer Zeitung“ Edgar Grueber (1903 – 1975) Dodel in einem Artikel für den „Stuttgarter NSKurier“ als „Salomo von Blaubeuren“. Der Blaubeurer Lehrer und Archivpfleger Hans Dreher will nach eigenen Angaben die ersten Dodel-Anekdoten aufgeschrieben und verbreitet haben, die dann etwa über den Stuttgarter Rundfunkjournalisten Albert Hofele (1896 – 1972) ein weiteres Publikum erreichten. Auch der Schriftsteller und Gerichtsreporter Hermann Mostar (1901 – 1973) verfasste 1952 für die „Nürnberger Nachrichten“ die Dodel-Anekdote vom „Schwäbischen Gruß“ (bei Setz, Dodeldum, 98 f.).
Losgelöst von allen postmortalen Zuschreibungen gehörte Dodel, ein durchaus typischer sozialer Aufsteiger des Wilhelminismus, zu der Generation von Justizjuristen, welche die Einführung des (umstrittenen) BGB unmittelbar begleitete. Das Bild des gewitzten Juristen, der sich nicht an den Paragraphen allein, sondern an seinem Menschenverstand und dem Rechtsgefühl insbesondere der „kleinen Leute“ seines Gerichtssprengels orientierte, ist in seiner Grundstruktur keinesfalls ungewöhnlich. Ohne Weiteres lassen sich hier Reflexe einer weit verbreiteten Kritik an einer abstrakten „Begriffsjurisprudenz“, einem „lebensfremden“ Römischen Recht, in Württemberg zudem eine romantische Verklärung des „alten Rechts“, projiziert auf die Person Dodels, feststellen. Der Topos des volkstümlichen Amtsrichters als positive Ausnahme gehört zudem zu den beliebten Stereotypen einer erheblich weiter zurückgehenden und letztlich mit der Rezeption des Römischen Rechts einsetzenden Kritik an den „gelehrten Juristen“. Beachtenswert ist allerdings die, in ihrer Wirkung freilich auch nicht zu überschätzende, weitere Verbreitung der „Dodel-Anekdoten“ nach 1945. Dodel wird hier zu der Symbolfigur einer positiv besetzten „guten alten Zeit“ vor dem Ersten Weltkrieg und einer identitätsstiftenden württembergischen Figur.
Die heiter-derben Geschichten um den „schwäbischen Salomo“ Dodel wurden erst in der Nachkriegszeit einem größeren Publikum bekannt. Anteil daran hatte insbesondere der Heidenheimer Amtsrichter Karl Setz (1896 – 1982) aus Neresheim (Jagstkreis), der in den fünfziger Jahren zwei sehr freie Anekdotensammlungen herausgab, die sich insbesondere im süddeutschen Raum einer gewissen Beliebtheit auch über juristische Berufsgruppen hinaus erfreuten; insoweit kann von einer echten Volkstümlichkeit Dodels die Rede sein. Beachtenswert ist dabei, daß diese erst einsetzte, als die meisten Zeitzeugen des Richters Dodel nicht mehr am Leben waren; insoweit ist die Volkstümlichkeit der Person Dodel zu relativieren. Einige der von Setz gesammelten Anekdoten lassen sich auf ältere Überlieferungen zurückführen, in einigen Fällen sind die Angaben zu Personen oder Örtlichkeiten nicht zutreffend. Festzuhalten ist, daß der Höhepunkt der Dodel-Rezeption mit der juristischen Naturrechts-Renaissance der Nachkriegszeit und einem damit verbundenen Misstrauen gegen das positive Recht zusammenfällt; besonders deutlich wird dies in dem bei Setz, Dodeldum, 149, behandelten „Erlaß an der Himmelstür“: „Alle Juristen bleiben draußen. Der Oberamtsrichter Dodel ist kein Jurist! Amen!“ Ferner ist auf die Parallelität zu den viel gelesenen und in der Tendenz ähnlichen heimatkundlichen Büchern von Thaddäus Troll (d. i. Hans Bayer, 1914 – 1980; Deutschland, deine Schwaben, 1967; Preisend mit viel schönen Reben, 1972) sowie den mundartlichen Veröffentlichungen von Josef Eberle (1901 – 1986; Pseudonym Sebastian Blau) hinzuweisen. Dabei war das Interesse an der literarischen Figur Dodel stärker als an dem „historischen“ Dodel; die genauen Umstände seines Todes in den „Rummelsberger Anstalten“ sind bis heute nicht geklärt. Bei der Justizreform in Baden-Württemberg, die zur Schließung vieler kleinerer Amtsgerichte führte, wurde teilweise Dodel als Negativbeispiel eines selbstherrlichen Amtsrichters bemüht, was den Tatsachen ebenso wenig entspricht wie die Stilisierung zu einem „schwäbischen Salomo“. In Albstadt-Ebingen erinnert heute die Wilhelm-Dodel-Gasse, in Blaubeuren der Dodelweg an den Richter.
Quellen: Staatshandbuch Württemberg, UAT, StadtA Blaubeuren, Stadt Feucht.
Nachweis: Bildnachweise: Ulmer Bilderchronik III/1930; zahlreiche Abbildungen bei Lauffer; zahlreiche Photographien in Familienbesitz (Sammlung Werner Dodel, München) sowie im Heimatmuseum und Archiv Wolfgang Dreher, Blaubeuren.

Literatur: Edgar Gruber, Der Salomo von Blaubeuren. Man nennt sie halt die Schwabenstreiche, in: Stuttgarter NS-Kurier, Ausgabe vom 9. März 1935; Hans Dreher, Wilhelm Dodel, der schwäbische Salomo, in: Schwäbische Zeitung, Ausgabe vom 13. Oktober 1950; Karl Setz, Dodeldum. Heitere Anekdoten um den berühmten Oberamtsrichter Dodel, 1956, 6. Aufl. 1987; ders., Die Zaunigel. Neue heitere Anekdoten um den berühmten Oberamtsrichter Dodel, 1961; Werner Birkemeyer [d. i. Werner Birkenmaier], Aktion gegen Mini-Gerichte. Baden-Württemberg löst die kleinen Amtsgerichte auf, in: Die Zeit, Ausgabe vom 6. Januar 1970; ders. [als Werner Birkenmaier], Salomo zwischen den Stühlen, in: Fritz Richert (Hrsg.), Schwäbische Wünschelrutengänge, 1976, 165-179; Dieter Herz, Der Salomo von Blaubeuren. Urteile des Amtsrichters Dodel. Erinnerungen an ein Original, in: Bodensee-Hefte (1986), Heft 2, 47 f.; Michael Kilian, Mephistophelisches in der Jurisprudenz, in: ders. (Hrsg.), Jurisprudenz zwischen Techne und Kunst. Von Hippokrates bis Heine. Philosophisches und Literarisches zum Verhältnis Kunst und Recht, 1987; „I’ be dr Dodel …“: Dokumentation einer Sonderausstellung im Badhaus- und Heimatmuseum Blaubeuren vom 26.6. – 31.10.1994; [Wilhelm Adam Dodel (1850 – 1934), Oberamtsrichter (1892 – 1909) und Landgerichtsrat (1909 – 1913) am Oberamtsgericht Blaubeuren] / zsgest. von Erich Lauffer, (d. i. 1995); Hans Flick, Brennendes Finanzamt, in: Deutsches Steuerrecht 1998, 1589 – 1594 (1590). Bühnenadaption: Walter G. Pfaus, Schlagkräftige Argumente. Eine Episode aus dem Leben des Oberamtsrichters Dodel, 2001 („Heiterer Gerichtseinakter“).
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