Engelhardt, Carl 

Andere Namensformen:
  • Karl
Geburtsdatum/-ort: 29.03.1901;  Aglasterhausen
Sterbedatum/-ort: 09.07.1955;  Aalen
Beruf/Funktion:
  • Vorkämpfer der NSDAP in Baden, Landrat und Polizeipräsident
Kurzbiografie: 1907-1916 Volksschule, seit 1910 Realschule Ladenburg
1916-1919 Oberrealschule Heidelberg
1919 Studium der Medizin, 1921/22 in den USA am Jefferson Medical College, Philadelphia, Pa. (ohne Abschluß)
1922-1925 kaufmännischer Angestellter; nationalökonomische Studien an der Temple University in Philadelphia
1925 Angestellter der Chemischen Werke Odin in Eberbach am Neckar und bis 1927 nationalökonomische Studien an der Universität Heidelberg
1926 X SA-Sturmmann und Geschäftsführer Standarte II (Eberbach); 1929-1933 Adjutant Standarte 112 (Rhein-Neckar), 1933/34 kommissarischer Standartenführer, dann bis 1940 Standarten- und Oberführer
1927 III NSDAP-Mitglied, seit Oktober 1926 Funktionär der Ortsgruppe und des Bezirks Eberbach sowie der Gauleitung Baden
1933 III.27. Leiter der NSDAP-Ortsgruppe Eberbach
1934 IV.15. Bürgermeister in Eberbach, (22.09.) NSDAP-Kreisleiter in Konstanz
1935 II.01. Landrat in Konstanz
1937 IX.02. Kommissaischer, 01.07.1938 planmäßiger Polizeipräsident in Karlsruhe
1937-1940 Gaustellenleiter im NSDAP-Gauamt Beamte und Gauwalter des Reichsbundes der Beamten
1940 SS-Oberführer, (20.06.) kommissarischer Leiter der Polizeiverwaltung beim Chef der Zivilverwaltung im Elsaß und Landkommissar für Straßburg-Stadt
1941-1942 (20.03.1941-Mai 1942) Kriegsdienst (Leutnant der Reserve; Eisernes Kreuz I. und II. Klasse, Infanterie-Sturmabzeichen)
1941 X.01. Polizeipräsident in Straßburg
1943-1944 Vorsitzender des NSDAP-Kreisgerichts Straßburg
1944 XI.23. französische Kriegsgefangenschaft, dann bis Mitte 1948 Zivilinternierung
1948 IX.01. kaufmännischer Angestellter in Karlsruhe, seit 1951 in Oberkochen
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1929 Johanna (Haddy) Martha Helene, geb. Rochow (geb. 14.07.1900, Heidelberg)
Eltern: Wilhelm (geb. 03.07.1855, Mönchzell), evangelischer Pfarrer
Emma Adeline, geb. Moll (geb. 27.10.1864, Neuenstein)
Geschwister: 3 Brüder (u. a. Pfarrer und Versicherungsdirektor)
Kinder: Ilse Rosemarie (geb. 09.09.1930)
GND-ID: GND/1012561488

Biografie: Michael Ruck (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 62-65

Engelhardt war ein enger Weggefahrte des badischen NSDAP-Gauleiters Robert Wagner von den späten 1920er Jahren bis zum Zusammenbruch des NS-Regimes. Als einziger NS-Außenseiter Südwestdeutschlands bekleidete er zeitweise die Posten eines Landrats und NSDAP-Kreisleiters in Personalunion.
Nach seiner Rückkehr von einem mehrjährigen Amerikaaufenthalt war der gescheiterte Medizin- und Volkswirtschaftsstudent 1925 bei den Chemischen Werken Odin in Eberbach am Neckar untergekommen. Deren Direktor Wilhelm Keppler – seit 1927 Wirtschaftsberater Hitlers, später Staatssekretär im Auswärtigen Amt und SS-Obergruppenführer – gehörte zu den ersten Förderern der NSDAP in Baden und im Reich. Zusammen mit Gauleiter Wagner, der aus dem Nachbardorf Lindach stammte, machte er die Odenwald-Region um Eberbach zu einem frühen „Zentrum nationalsozialistischer Agitation“ (A. Cser) im Südwesten. Die Hälfte der mitgliederstarken NSDAP-Ortsgruppe stand wie Engelhardt auf den Lohn- und Gehaltslisten seines Unternehmens. Im März 1933 wurde Engelhardt als Aktivist der nordbadischen Parteiorganisation und Adjutant des SA-Standartenführers Karl Pflaumer zum Ortsgruppenleiter ernannt. Ende April 1934 bestellte ihn der nunmehrige Innenminister Pflaumer zum Nachfolger des Bürgermeisters Dr. Dr. Friedrich Wenz, den die Eberbacher NSDAP unter Führung des Ersten Beigeordneten Engelhardt zur Aufgabe gezwungen hatte.
Nur acht Monate später forderte Reichsstatthalter Wagner persönlich die Ernennung seines Schützlings zum Landrat in Konstanz. Innenminister Pflaumer und sein Ministerialdirektor Dr. Jakob Bader erhoben ebenso wie der Reichsinnenminister Bedenken gegen diesen Plan. Denn der Gauleiter wollte offensichtlich nicht bloß einen engen Kampfgefährten im öffentlichen Dienst unterbringen – als Bürgermeister hatte Engelhardt bereits ein gutes Auskommen. Es handelte sich offenkundig um einen Fall von Herrschaftspatronage in strategischer Absicht.
Der bei Hitler wohlgelittene Veteran des 9. November 1923 hatte sich im September 1934 mit einem Vorschlag an seinen Führer und dessen Stellvertreter gewandt, dessen Verwirklichung tiefgreifende Konsequenzen für die Bezirksverwaltung im Reich und darüber hinaus für das deutsche Berufsbeamtentum gehabt hätte. Wagner schwebte nämlich vor, „daß die Landratsstellen im Reich grundsätzlich als politische Stellen erklärt und besetzt“ würden. Und da „die Kreisleiter der NSDAP tatsächlich die Vertreter einer politischen Autorität“ seien, sollten sie kraft ihres Parteiamtes automatisch auch den Landratsposten übernehmen. Wagner ging es vor allem darum, endlich die unangefochtene Dominanz der Parteiorganisation auf der unteren Verwaltungsebene dadurch herzustellen, daß seine Kreisleiter aus jener Konkurrenzsituation befreit wurden, die immer häufiger von den professionellen Landräten zu ihren Gunsten entschieden wurde.
Angesichts der finanziellen Konsequenzen dieses Planes behielten seine Gegner in Berlin die Oberhand, ohne ihre prinzipiellen Einwände in den Vordergrund rücken zu müssen. Und Hitler ließ – wie so oft – eine wichtige Frage auf die lange Bank schieben, ohne inhaltlich irgendeine Vorentscheidung zu treffen. In den Karlsruher Ministerien, deren Spitzen sich einhellig gegen das Abgehen vom badischen Fachbeamtenprinzip ausgesprochen hatten, wurde diese Nachricht erleichtert aufgenommen. Umso größer war dort die Enttäuschung, als Anfang Februar 1935 das Gerücht kolportiert wurde, in Berlin „schwebten“ nun doch wieder „Erwägungen“, den Kreis der „politischen Beamten“ auf die badischen Landräte auszudehnen. Der Gauleiter versuchte seine Ambitionen doch noch zu verwirklichen, indem er eilends einen Präzedenzfall schuf. Mitte Januar 1935 entsandte er Engelhardt als Kreisleiter nach Konstanz, wo interne Zerwürfnisse die Partei gegenüber den staatlichen Behörden besonders stark ins Hintertreffen gebracht hatten. Zugleich wies er Pflaumer an, den Eberbacher Bürgermeister bei Frick als Landrat in dem wichtigen Grenzbezirk vorzuschlagen. Der widerstrebende Reichsinnenminister hatte dem prominenten Gauführer signalisiert, er werde ausnahmsweise zustimmen, sofern die Stelle ordnungsgemäß freigemacht und kein zusätzlicher Beamter als Gehilfe Engelhardts nach Konstanz entsandt werde; der Kandidat müsse „geeignet und befähigt“ sein, die Landratsposten selbständig auszufüllen. „Die Gewähr für die Eignung des Kreisleiters Engelhardt übernehme ich“, teilte Wagner ihm daraufhin mit. Ebenso apodiktisch wies er seinen Innenminister und die Staatskanzlei an, die Ernennung des Alten Kämpfers – Engelhardt konnte sich mit dem Goldenen Parteiabzeichen der NSDAP und dem Silbernen Ehrenzeichen des Gaues Baden schmücken – schleunigst zu bewerkstelligen. Der verdiente, zudem im Weltkrieg höchstdekorierte Landrat Alfred Franck (1878-1963) wurde kurzerhand auf den Präsidentensessel der Landwirtschaftlichen Berufsgenossenschaft abgeschoben. Seit dem 1. Februar 1935 verwaltete Engelhardt den Amtsbezirk Konstanz als Statthalter der Regierung und der Staatspartei.
Von einem grundsätzlichen Durchbruch Wagners konnte allerdings keine Rede sein. Denn ihm war deutlich geworden, welche kontraproduktive Unruhe in seinem Herrschaftsapparat der Versuch erzeugen müßte, die Personalunion von Kreisleitern und Landräten durch sein Machtwort allgemein durchzusetzen. Im Gegensatz zu weiten Teilen des Reiches blieben die Spitzenpositionen der staatlichen Bezirksverwaltung in Baden wie in Württemberg auch unter NS-Ägide vollzählig in der Hand von Volljuristen.
Unterdessen bemühten sich Pflaumer und Bader darum, die personelle Hinterlassenschaft der gescheiterten Politisierungsinitiative Wagners von 1935 so rasch wie möglich wieder zu beseitigen. Nachdem der in Ungnade gefallene Polizeipräsident Dr. Wilhelm Heim (1900-1942) Sommer 1937 von seinem Karlsruher Posten entfernt worden war, setzten Wagner und Pflaumer Engelhardt als dessen kommissarischen Nachfolger durch, ehe von Berlin ein auswärtiger SA- oder SS-Mann geschickt werden konnte. Nach monatelangem Gezerre gelang es der Karlsruher NS-Führung, die endgültige Bestallung Engelhardts beim Reichsinnenminister gegen den hinhaltenden Widerstand des Reichsführers SS durchzudrücken.
1940 folgte Engelhardt seinem politischen Mentor als Polizeipräsident und Leiter der Polizeiverwaltung im Elsaß in die neue Gauhauptstadt Straßburg. Aus diesem Anlaß wurde Engelhardt gegen den Willen der SA als Oberführer in die SS übernommen. Im Elsaß spielte Engelhardt eine wichtige Rolle bei der organisatorischen Umsetzung der Repressions-, Germanisierungs- und Deportationspolitik des führerunmittelbaren Chefs der Zivilverwaltung. Gleichwohl wurde er im Frühjahr 1946 nicht mit Wagner und dessen engstem Gefolge vom Straßburger Militärtribunal abgeurteilt. Offenbar ordneten ihn die französischen Ermittler der großen Schar jener Verwaltungsbeamten zu, welche sich zwar vom NS-Regime in Dienst hatten nehmen lassen, nicht jedoch dessen Unrechtspolitik aktiv mitgetragen hatten.
Dadurch wurde Engelhardt – allerdings erst nach längerer Internierung – zum Nutznießer jener „Mitläuferfabrik“ (L. Niethammer), zu der sich die Entnazifizierung des öffentlichen Dienstes auch in Südwestdeutschland rasch entwickelte. Deren Hauptzweck war es nach dem unausgesprochenen Einverständnis der sogenannten „Betroffenen“ und der Mehrzahl ihrer Richter, jene unter Verabfolgung einer symbolischen Sühne zu rehabilitieren, um ihnen eine möglichst bruchlose Fortsetzung ihrer Berufskarriere zu ermöglichen. Engelhardts Entnazifizierungsbescheid vom Juli 1948 bietet dafür ein frappierendes Beispiel. Darin tauchte die Spruchkammer Karlsruhe Engelhardts Person und seine Karriere in das mildeste Licht: für seine Ernennung und seine Karriere seien „auch die persönlichen Fähigkeiten ausschlaggebend“ gewesen; an den NS-Verfolgungsmaßnahmen könne ihm lediglich in einem „Einzelfalle“ eine Beteiligung angelastet werden; ansonsten habe Engelhardt in allen Partei- und Verwaltungsfunktionen „vor allem (...) alle Gewaltmaßnahmen und parteipolitischen Terror zu verhindern“ gesucht; „bei den Einwohnern der Stadt Straßburg und im ganzen Elsaß“ schließlich habe er denn auch „nachweislich den Ruf eines toleranten und deshalb äußerst beliebten Vorgesetzten“ (sic!) genossen.
Als Beleg für diese bizarre Umdeutung der vergangenen Wirklichkeit führte der Spruch pauschal „Dutzende von eidesstattlichen Erklärungen hoher und höchster Persönlichkeiten“ an. Doch gerade diese „große Zahl weitgehender Entlastungen“ und deren Bewertung durch die Spruchkammer Karlsruhe macht den Entnazifizierungsfall Engelhardt zu einem Schulbeispiel für jene „nachnationalsozialistische Solidargemeinschaft“ (K. Schönhoven).
Nach seiner faktischen Rehabilitierung faßte Engelhardt rasch wieder Fuß in der Privatwirtschaft, und Ende der 1950er Jahre erstritt seine Witwe eine herabgesetzte Versorgung, die immerhin nach den Dienstbezügen eines Regierungsrats bemessen wurde. Maßgeblich beteiligt daran war- neben einer Reihe ehemaliger Kollegen – vor allem Engelhardts Schulfreund Dr. Karl Frank, der 1927 Bürgermeister von Eberbach und von 1931 bis 1945 Oberbürgermeister in Ludwigsburg gewesen war. Trotz seiner DDP-Zugehörigkeit hatte der Stuttgarter Gauleiter Wilhelm Murr ihn 1933 aufgrund einer Fürsprache Kepplers in diesem Amt belassen. Als „einer der führenden Männer des Liberalismus im Südwesten“ (A. Cser) leitete Frank von 1951 bis 1960 das Stuttgarter Finanzministerium. Von dieser Position aus intervenierte er mehrfach zugunsten seines Jugendfreundes Engelhardt. Auch sonst illustriert das Nachkriegsschicksal des Pastorensohnes Engelhardt nachdrücklich, daß der Korpsgeist der traditionellen Ruling classes Badens selbst solche Angehörigen nicht ausschloß, die unmittelbar als Werkzeuge der NS-Unrechtspolitik gewirkt hatten.
Quellen: GLA Karlsruhe 466, 1978/36, Nr. 1586 (Haupt-Personalakte; mit Bild); 233, Nr. 29434 (Neben-Personalakte); Nr. 24449 und 236, 29273 (Ernennungsantrag vom 17.01.1935); 236, Nr. 29278 (Personalnachweisung vom 20.04.1940); BDC (jetzt BA Berlin): (NSDAP-Mitgliedskarte/-Parteikorrespondenz, SS-Personalakte); HStAS: EA 2/150 Nr. 299 (Nachkriegs-Personalakte)
Nachweis: Bildnachweise: GLA Karlsruhe: 466, 1978/36, Nr. 1586

Literatur: Franz Götz, Amtsbezirke und Kreise im badischen Bodenseegebiet. Ihre Entwicklung seit 1803 und ihre wichtigsten Organe. Chronologische Übersichten und Personalien, 1971, 70; Peter Diehl-Thiele, Partei und Staat im Dritten Reich. Untersuchungen zum Verhältnis von NSDAP und allgemeiner innerer Staatsverwaltung, 2. Aufl. 1971, 176 f.; Ellsworth Faris, Takeoff Point for the National Socialist Party: The Landtag Election in Baden 1929, in: Central European History 8 (1975), 140-171, hier 167; Johnpeter H. Grill, The Nazi Movement in Baden, 1920-1945, Chapel Hill, N.C. 1983, bes. 66f., 154, 257; Michael Ruck, Administrative Eliten in Baden und Württemberg von den zwanziger Jahren bis in die Nachkriegszeit, in: Cornelia Rauh-Kühne/Michael Ruck (Hg.), Regionale Eliten zwischen Diktatur und Demokratie. Baden und Württemberg 1930 bis 1952, 1993, bes. 44, 52; ders., Carl Engelhardt, in: Die Amtsvorsteher der Oberämter, Bezirksämter und Landratsämter in Baden-Württemberg 1810 bis 1972, Hg. Arbeitsgemeinschaft der Kreisarchivare beim Landkreistag Baden-Württemberg, 1996; ders., „Der Korpsgeist hat alles überstanden.“ Zur Rolle der administrativen Eliten in Südwestdeutschland, 1996; Manfred Asendorf, Hamburger Nationalklub, (Wilhelm) Keppler-Kreis, Arbeitsstelle (Hjalmar) Schacht und Aufstieg Hitlers, in: 1999 2 (1987), Nr. 3, 106-150; Peter Pfeiffer, Dr. Dr. Friedrich Wenz. Bürgermeister in Eberbach 1931-1934, in: Eberbacher Geschichtsblatt 86 (1987), 120; Horst Ferdinand, Die Misere der totalen Dienstbarkeit: Robert Wagner (1895-1946), NSDAP-Gauleiter, Reichsstatthalter von Baden, Chef der Zivilverwaltung im Elsaß in der Zeit des Nationalsozialismus, in: ebd. 91 (1992) 97-209; Andreas Cser, Eberbach in der Zeit des Nationalsozialismus, in: ders., u. a., Geschichte der Stadt Eberbach am Neckar vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 1992, 241-252; Tobias Engelsing, Der rote Arnold. Eine Lebensgeschichte (1883-1950), 1996, 316-318
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