Ibenthaler, Paul 

Geburtsdatum/-ort: 18.06.1920;  Lörrach
Sterbedatum/-ort: 02.03.2001;  Rheinfelden- Eichsel
Beruf/Funktion:
  • Maler und Bildhauer
Kurzbiografie:

1935–1939 Volksschule in Lörrach

1935–1939 Ausbildung zum Installationstechniker, danach technischer Angestellter

1939–1945 Militärdienst bei der Luftwaffe, ab 1940 in Frankreich, Studien an der Académie de la Grande Chaumière, Paris

1945 amerikanische Kriegsgefangenschaft, Rückkehr nach Lörrach

1947 I. Kunstausstellung „Moderne Malerei“ nach dem Krieg in Lörrach und Müllheim; Gast in der Ausstellung „Badische Secession“ in Freiburg, danach Beteiligung an vielen bedeutenden regionalen Ausstellungen

ab 1949 mehrjährige Tätigkeit als Grafiker und Gestalter für die Industrie

ab 1950 Beteiligung an überregionalen und internationalen Ausstellungen in Karlsruhe, Baden-Baden, München, Düsseldorf, Essen, Mannheim, Basel und London

ab 1960 Arbeiten im öffentlichen Raum

1962–1980 Kunsterzieher an den Gymnasien Rheinfelden und Grenzach

1974 Wohnsitz und Atelier in Rheinfelden-Eichsel

1993 Gründung der Paul-und Regina-Ibenthaler-Stiftung

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch
Verheiratet:

I. 1944 Gertrud „Sascha“ (1920–1960), geb. Grünewald, Bildhauerin;

II. 1961 Regina (1923–2006), geb. Adams, Gymnasiallehrerin


Eltern:

Vater: Paul (1898–1945) Fuhrhalter, Nebenerwerbslandwirt

Mutter: Paula Margarethe (1901–1984), geb. Rasmussen, Fabrikarbeiterin


Geschwister:

Walter (1921–1942)


Kinder:

2 Töchter

GND-ID: GND/129809012

Biografie: Jan Merk (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 263-266

Eine künstlerische Laufbahn schien für Ibenthaler zunächst unvorstellbar. In den krisenhaften 1920er Jahren wurde er in prekäre Verhältnisse hineingeboren. Während der Inflationsjahre war der Vater zum Hilfsarbeiter geworden, der auch als Nebenerwerbslandwirt seine Familie ernährte. Da die aus einem deutsch-dänischen Schneiderhaushalt in Basel stammende Mutter in einer Fabrik arbeitete, war Ibenthaler „Schlüsselkind“, das sich mit sich selbst beschäftigte. Nach der Volksschule musste er kurze Zeit in einer Maschinenfabrik Geld verdienen, dann absolvierte er eine Lehre als Installationstechniker und arbeitete schließlich im technischen Büro des Gaswerks Lörrach.

Schon an der Volksschule hatte Eugen Feger (1902–1969), ein junger Lehrer und Maler, das künstlerische Talent Ibenthalers entdeckt. Ibenthaler selbst schrieb von seinem „Doppelleben“ neben der Hitlerjugend: „Ich zeichnete und malte und schrieb […] auch noch Gedichte“ (Erinnerungen 1997, S. 19) und besuchte auch Ausstellungen. Zum Schlüsselerlebnis wurde ihm 1937 die Fahrrad-Fahrt nach München, wo er die NS-Eröffnungsausstellung im „Haus der Deutschen Kunst“ sah, aber auch die zeitgleich laufende Schau „Entartete Kunst“: „Verwirrt und verunsichert“ (ebd. S. 21) kam er zurück.

Im Oktober 1939 wurde Ibenthaler zum Militär einberufen, wo er nach der Grundausbildung in Bayern und kurzer Zeit in der Slowakei als Techniker an einen Flughafen bei Paris eingesetzt war. Schon zuvor hatte er eine Feldstaffelei erstanden, jetzt nutzte er seine Freizeit zum Zeichnen und Malen und besuchte Kurse an der Pariser Académie de la Grande Chaumière, wo der Fauvist Othon Friesz (1879–1949) und der Bildhauer Charles Despiau (1874–1946) unterrichteten. Auch die Ecole Nationale des Beaux Arts in Bourges konnte Ibenthaler besuchen. Damals, so schrieb er, „wurde ich mir meiner künstlerischen Begabung voll bewusst, und ich gewann die Sicherheit, die mir später über alle Anfeindungen […] hinweghalf“ (ebd. S. 27 f.).

An der Académie hatte er eine junge Bildhauerin kennengelernt, die als Nachrichtenhelferin aus ihrem Studium heraus verpflichtet worden war. Die sich schnell entwickelnde Freundschaft zu seiner späteren 1. Frau empfand Ibenthaler als enorm bereichernd. „Ich malte immer freier und unbefangener, und es waren nur die mangelnde Zeit und die begrenzten Möglichkeiten, die mich hinderten.“ (ebd.). Der intensive geistige Austausch führte eng zusammen in einer Zeit, in der die deutsche Niederlage sich deutlich abzeichnete. Ibenthalers Bruder war 1942 gefallen, das Grauen rückte näher. Ibenthaler erlebte das Kriegsende in Österreich und kam nach kurzer Gefangenschaft im Sommer 1945 zu seinen Schwiegereltern nach Bad Homburg, wo ihn seine Frau mit der gerade geborenen ersten Tochter empfing.

Es war beschlossen, dass Ibenthaler jetzt die unsichere künstlerische Laufbahn einschlagen wollte. Im Winter 1945 fand er samt Familie Aufnahme bei der nun verwitweten Mutter in Lörrach, wo 1947 eine zweite Tochter zur Welt kam. Autodidaktisch bildete er sich weiter und lebte bis zur Währungsreform 1948 auch leidlich vom Verkauf seiner Bilder. Vor den Toren Basels hatte sich ein anregender Kreis junger Künstler gebildet, darunter Alfred Haller mit seiner Frau Gerta (vgl. S. 203) und Paul Hübner. Gemeinsam veranstalteten sie 1947 in Lörrach und Müllheim die erste Nachkriegsausstellung „Moderne Malerei“. Sie fanden auch mit graphischen Arbeiten für die Basler pharmazeutische Industrie Zusatzverdienst.

Ibenthaler war bald als Gast der 1946 unter dem Vorsitz von Emil Bizer wiedergegründeten „Badischen Secession“ an wichtigen Ausstellungen in Freiburg, Karlsruhe, Baden-Baden und München, in Düsseldorf und Essen beteiligt. 1952 stellte er alleine im Kunstverein Mannheim aus und wurde von der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ als „Neo-Realist“ charakterisiert, „der auf den Wegen des geklärten Expressionismus seine eigene Art sucht“ (FAZ, 25.11.1952). Die „Allgemeine Zeitung Mannheim“ widmete ihm einen ausführlichen Beitrag und skizzierte die Bandbreite seiner Arbeit. Ibenthaler habe „sich in den letzten Jahren sowohl mit der Überlieferung des Impressionismus als auch mit den Prinzipien der Abstraktion auseinandergesetzt und daraus einen expressiv-realistischen Stil eigener Prägung entwickelt“ (AZ Mannheim, 4.11.1952).

Aus der Ausstellung „Neue Farbholzschnitte 1954“ wurde eine Arbeit Ibenthalers als offizielles Lörracher Geschenk für das ausrichtende Kunstmuseum Basel ausgewählt. Trotz solcher Einzelerfolge aber erwies sich das Künstlerleben, auf das sich das junge Ehepaar eingelassen hatte, als spannungsreich und hart. Der Spagat zwischen Broterwerb, künstlerischer Weiterentwicklung und Zeit für die Familie wurde Ibenthaler zur schmerzlich empfundenen Zerreißprobe. Seine Frau ist daran zerbrochen und früh gestorben, Ibenthalers Verhältnis zu seinen Töchtern blieb zeitlebens gespannt.

Ab 1949 konnte Ibenthaler fast zwei Jahrzehnte lang nebenberuflich als Gestalter großer Messestände für die Industrie Geld verdienen. Er reiste viel in Deutschland und erlangte Renommée: Entwürfe wurden in Fachzeitschriften veröffentlicht. Er konnte sein erstes Haus bauen. Doch auch dieser Erfolg brachte Schwierigkeiten: es fehlte Zeit für künstlerische Arbeit, die Auseinandersetzung mit neuen Kunstströmungen. Für Ibenthaler, der aus existenzieller Betroffenheit malte und dessen frühe Bilder die Kriegserschütterungen, Inhumanität nach dem Krieg, Entfremdung in zuweilen brutaler Darstellung zeigen, blieb der Gegenstand in der Malerei wichtig. Versuche mit gegenstandsloser Malerei brach er schnell wieder ab. Seine Formensprache blieb expressiv-realistisch, nun mit kubistischen Elementen. „In der Radikalität der kubistischen Form kommt das Tödliche, Kafkaeske dieser Aufrufe an die Menschlichkeit wirkungsvoll zum Ausdruck“ (Jürgen Scharf, in: Südkurier, 3.1.1986).

1961 hatte Ibenthaler zum zweiten Mal geheiratet und 1962 mit Kunstunterricht an den Gymnasien Rheinfelden und Grenzach begonnen. Dies ermöglichte ihm, sich seiner Arbeit als Maler, Zeichner und Bildhauer stärker zu widmen. Im schnelllebiger werdenden Kunstbetrieb hielt er aber kritisch Distanz zum „zeitgenössischen“ Kunstbegriff und polemisierte zuweilen heftig gegen Tendenzen, die er als Subjektivismus, Provokation, Innovation um ihrer selbst willen, letztlich als Disziplinlosigkeit ohne ästhetische Qualität wahrnahm. Immer wieder rang er um seinen Standpunkt. Der empfindsame und willensstarke Ibenthaler isolierte sich so von gleichaltrigen und jüngeren Künstlern. Nur mit dem eine Generation älteren Adolf Riedlin verband ihn eine enge Freundschaft.

Den Einen erschien er ein konsequenter „Humanist, der mit expressionistischen Mitteln arbeitet“ (Scharf, 1986), Andere sahen seine oft pauschale Ablehnung alles Neuen ohne mögliche Weiterentwicklung. Letztlich wurde Ibenthaler zum beachtenswerten Einzelgänger in der Kunst der Nachkriegszeit im deutschen Südwesten.

Im Sakralraum konnte Ibenthaler in den folgenden Jahrzehnten mehrere Arbeiten realisieren: eine monumentale Petrusstele und Glasfenster in der Lörracher St. Peterskirche. Eindringliche Holzfiguren des Gekreuzigten waren zeitweise auch in Markgräfler Kirchen installiert. Im öffentlichen Raum der Gewerbeschule Neustadt/Schwarzwald schuf er ein großes Keramikwandbild und den Jungfrauenbrunnen in Eichsel.

Sein malerisches Werk kennzeichnet enorme Bandbreite, doch die „Darstellung des Menschen als Bildnis, Selbstbildnis und Figurenbild [blieb vor dem Hintergrund von menschenverachtender Diktatur und Krieg] vorrangig in seinem Schaffen. Gleichzeitig entstehen Landschaften und Stillleben, die durch ihre erlebte Sehweise ebenfalls auf den Menschen bezogen sind. Das Motiv der Menschen und Menschenbilder resultierte aus seinen persönlichen Erfahrungen und Begegnungen, die […] in den religiösen Bereich einmünden und in Bildern der Passion den ‚ungeheuerlichen Missbrauch des Menschen durch den Menschen‘ anklagen“ (Hofstätter, 2003, S. 6 f.). Thematisch war Ibenthaler ein typischer Vertreter seiner „skeptischen Generation“, wie der Soziologe Helmut Schelsky (1912–1984) treffend formulierte.

1974 zog Ibenthaler von Lörrach in ein größeres Haus mit Atelier nach Rheinfelden-Eichsel. Dort hat sich seine sich selbst als noch konservativer als der wertkonservative Ibenthaler beschreibende Frau große Verdienste um die Ordnung des künstlerischen Nachlasses erworben. Parallel zur Herausgabe mehrerer Werkbände, Erinnerungen und Betrachtungen gründete das Ehepaar 1993 die „Paul-und-Regina-Ibenthaler-Stiftung“. Zunächst in Eichsel und seit 2006 im Ibenthaler-Haus Lörrach kümmert sich die Stiftung um die Bewahrung des umfangreichen Werkes und tritt mit Ausstellungen von Ibenthalers Kunst regelmäßig an die Öffentlichkeit.

Quellen:

A der Paul-und-Regina-Ibenthaler-Stiftung Lörrach, familiengesch. Aufzeichnungen von Ibenthaler und seiner II. Frau, Erinnerungen, MS 1992, Zeitungsausschnitte, und öffentliche Stellungnahmen Ibenthalers; Auskünfte des StadtA Lörrach.

Werke: Kunstwerke (Auswahl): Paul-und-Regina-Ibenthaler-Stiftung Lörrach; Dreiländermuseum Lörrach; Markgräfler Museum Müllheim; im öffentlichen Raum u.a. Petrusstele und Fester in der St. Peters-Kirche Lörrach; Wandkeramik in der Gewerbeschule Neustadt/Schw.; Jungfrauenbrunnen Eichsel. – Gedruckte künstlerische und literarische Veröffentlichungen: Hermann Daur, in: Unser Lörrach Bd. 1, 1970, 13–18; Adolf Riedlin, ebd. Bd. 3, 1972, 134–140; Karl-Friedrich Rieber, ebd. Bd. 4, 1973, 193–195; Das Problem der ästhetischen Normen in der bildenden Kunst, in: Das Markgräflerland, 1–2, 1979, 164–167; Bilder und Bildwerke, 1991; Erinnerungen. – Kritische Betrachtungen – Sentenzen, 1997; Öffentliche Werke und Entwürfe, 2000.
Nachweis: Bildnachweise: Selbstportrait (um 1960) S. 251. – Zahlreiche weitere Selbstportraits und Portraitfotografien bei der Paul-und-Regina-Ibenthaler-Stiftung Lörrach.

Literatur:

Jürgen Scharf, Paul Ibenthaler Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen 1938–1954, 1986; Jürgen Scharf, Vom Geheimnis hinter den Dingen, in: Südkurier vom 31.1.1986; ders., Paul Ibenthaler Zeichnungen, o. J. [1987]; Hans H. Hofstätter, Paul Ibenthaler, in: Das Markgräflerland 2, 1994, 99–104; Hans H. Hofstätter, Paul Ibenthaler, in: Hans H. Hofstätter, Berthold Hänel: Die Maler des Markgräflerlandes, 2000, 82–83; ders., Paradies in Bildern, 2001, 78–79; Hans H. Hofstätter, Paul Ibenthaler 1920–2001. Der Mensch – Sein Menschenbild, 2003, Sonderdr. aus: Das Markgräflerland 1, 2003; Dorothee Schappacher, Paul Ibenthaler Eine kritische Analyse, in: Das Markgräflerland 2016, 111–126.

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