Neu, Maximilian 

Andere Namensformen:
  • (seit 1938 Denny)
Geburtsdatum/-ort: 05.04.1877; Freinsheim
Sterbedatum/-ort: 22.10.1940;  Heidelberg durch Suizid
Beruf/Funktion:
  • Gynäkologe, Verfolgter des NS-Regimes
Kurzbiografie: 1897/98 Beginn des Medizinstudiums in Heidelberg, Fortsetzung 1899 in München, ab 1900 wieder in Heidelberg
1902 Ärztl. Approbation u. Promotion in d. Universitäts-Frauenklinik in Heidelberg: „Experimentelle u. klinische Blutdruckuntersuchungen mit Gärtner’s Tonometer“
1902–1903 Assistenz an d. Medizin. Klinik in Basel
1903 Assistenz an d. Diätetischen Kuranstalt in Badenweiler bei A. Fraenkel (vgl. S. 118), dann an d. Universitäts-Frauenklinik Heidelberg, dort ab 1907 Oberarzt
1908 Habilitation, Antrittsvorlesung: „Physiologie u. pathologische Physiologie d. postpartalen Hämostase“
1914 ao. Professor
1919 Ankauf einer Villa in d. Zähringerstraße 15, dort Gründung einer eigenen Privatklinik für Geburtshilfe u. Frauenkrankheiten, Fortsetzung d. Lehrtätigkeit
1933 Entzug d. Lehrbefugnis
1938 Entzug d. Approbation
Weitere Angaben zur Person: Religion: isr., später ev.
Verheiratet: 1912 Louise (Zilla), geb. Baruch (1885–1940, Suizid)
Eltern: Vater: Lazarus, Kaufmann
Mutter: Wilhelmina, geb. Reinhardt
GND-ID: GND/1018913092

Biografie: Maike Rotzoll (Autor)
Aus: Badische Biographien NF 6 (2011), S. 292-294

Neu wurde in eine jüdische Familie geboren, die in Freinsheim, damals Bayerische Rheinpfalz, lebte. Seine Eltern starben früh, später sollte er sie als „freireligiös“ bezeichnen. 1897 schrieb Neu sich an der Universität Heidelberg für Medizin ein. Nach der ärztlichen Vorprüfung „genügte“ Neu, wie er in seinem handschriftlichen Lebenslauf festhielt, 1899 seiner „Dienstpflicht mit der Waffe“ beim Königl. Bayer. 2. Infanterieregiment „Kronprinz“ in München und studierte dort auch. Zum WS 1900 zurück in Heidelberg forschte er neben dem Studium an der Medizinischen Klinik bei Professor W. Erb (vgl. S. 99) und am Pharmakologischen Institut bei Prof. R. Gottlieb (1864–1924) über Blutdruckmessung. Er gewann mit seiner Arbeit 1900 einen Preis der Fakultät, als Promotion wurde sie 1902 angenommen. Dies war auch das Jahr seiner Approbation. 1903 begann Neu als Volontärassistent seine eigentliche Laufbahn als Gynäkologe und Geburtshelfer in Heidelberg, wurde 1905 klinischer Assistent und 1908 Oberarzt der Universitäts-Frauenklinik.
Aus der wissenschaftlichen Arbeit zu dem gerade zehn Jahre zuvor entdeckten Wirkstoff aus dem Nebennierenmark entstand die 1908 abgeschlossene Habilitationsschrift: „Untersuchungen über die Bedeutung des Suprarenins für die Geburtshülfe“. Neu konnte zeigen, dass die nach langwieriger Entbindung gefürchteten, häufig tödlichen Nachblutungen aus der Gebärmutter durch die Substanz gemildert oder beendet werden konnten.
Einen wesentlichen Beitrag hat Neu für die Entwicklung der Allgemeinnarkose geleistet, nämlich die exakte Dosierung von Lachgas und Sauerstoff über die gerade erst patentierten Rotameter-Gasflussmesser. Er hatte am Pharmakologischen Institut bei Gottlieb über die Betäubungswirkung von Scopolamin und Morphin und deren Verstärkung durch Inhalation von Lachgas-Sauerstoff-Gemischen geforscht. Für den Einsatz der Kombination dieser Stoffe in der Anästhesie war es entscheidend, die Konzentration von Sauerstoff und Stickstoff in der Atemluft exakt messen und durch Zufuhr der Gase in präziser Dosierung die Konzentration von Sauerstoff und Stickoxydul (Lachgas) im Atemgasgemisch gewährleisten zu können. Für die Wirksamkeit musste die Lachgas-Dosis möglichst hoch sein, für die Sicherheit der Patienten und Patientinnen durfte die Sauerstoffkonzentration jedoch nicht unter einen kritischen Wert fallen. Neu konstruierte ein Narkosegerät mit zwei speziellen Messröhren zur Durchflussmessung von Sauerstoff und Lachgas, den „Rotametern“, über welche das Narkosegasgemisch in präziser Zusammensetzung verabreicht werden konnte. Von dieser technischen Neuerung leiten sich letztendlich die modernen Narkosegeräte ab. Am 26. Juli 1910 trug Neu vor dem „Naturhistorisch-Medizinischen Verein“ in Heidelberg über sein Narkoseverfahren vor, am gleichen Tag demonstrierte er es während einer Operation durch den gynäkologischen Ordinarius Carl Menge (1864–1945).
Während des I. Weltkrieges leitete Neu, ab 1914 als ao. Professor und Oberarzt unabkömmlich gestellt, die Klinik und die ihr angegliederten chirurgischen Vereinslazarette. Nach 1919 verließ er die Klinik und war in eigener Praxis ärztlich tätig. Bis 1933 hielt er daneben gut besuchte Veranstaltungen in seinem Fachgebiet ab. 1919 hatte er das Villenanwesen Zähringerstraße 15 gekauft, um dort eine Privatklinik und Entbindungsanstalt einzurichten. Die „Privatklinik für Geburtshilfe und Frauenkrankheiten“ war 1929 mit 16 Betten ausgestattet.
Mit Beginn der NS-Herrschaft wurde Neu wie viele andere jüdischstämmige Hochschullehrer aus der Universität gedrängt; dass er getauft war, änderte daran nichts. Mit Schreiben vom 20. April 1933 wurde er „als ao. Professor der Universität bis auf Weiteres beurlaubt“ (Schreiben Rektor W. Andreas vom 20. 4. 33; UAH Heidelberg, PA 5153). Neu konnte zwar zunächst noch eine Ausnahmeregelung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ in Anspruch nehmen, da er schon vor 1914 Beamter gewesen war, doch zum Oktober 1933 wurde ihm die Lehrbefugnis endgültig entzogen (Schreiben des Karlsruher Ministerium für Kultur, Unterricht und Justiz vom 27. 9. 1933; UAH Heidelberg, Rep. 27/913). Im Zuge der schrittweisen Entrechtung der jüdischen Bevölkerung, dem Entzug der Kassenzulassung für jüdische Ärzte 1933 und der einsetzenden Ächtung „arischer“ Patienten, die an den ihnen vertrauten jüdischen Ärzten festhielten, verschwand Neus Privatklinik 1936 aus dem Branchenverzeichnis. Er konnte sie aber unter der Rubrik „Nichtarische Ärzte“ als Privatpraxis bis zum endgültigen Berufsverbot für jüdische Ärzte 1938 weiterführen.
Die zunehmende Entrechtung der jüdischen Bevölkerung ertrug das Ehepaar offenbar ohne Emigrationspläne. Schon im gemeinsamen Testament vom August 1938 vermachten die Eheleute einen Teil ihres Vermögens dem Heidelberger Pfarrer Hermann Maas (➝ II 196) für wohltätige Zwecke. Den Abend des 21. Oktober 1940 verbrachten beide mit ihm zusammen in ihrer Wohnung, dessen erklärtes Ziel es war, Christen jüdischer Herkunft und überhaupt jüdischen Mitbürgern zu helfen. Zu diesem Zeitpunkt wussten sie jedoch noch nichts von der „Aktion“, die für den folgenden Morgen geplant war. Am Morgen des 22. Oktober sollte das Ehepaar dann, wie alle jüdischen Bürger aus Baden abgeholt und zum Bahnhof gebracht werden, von wo am Spätnachmittag der Deportationszug nach Gurs im nicht besetzten Teil Frankreichs abfuhr.
Neu und seine Ehefrau entzogen sich durch Einnahme von Zyankali dem drohenden Schicksal. Sie wurden am 25. Oktober 1940 von Hermann Maas im „Nichtarierfeld“ des Bergfriedhofs beigesetzt. 1949 ließ er das Ehepaar auf den allgemeinen Teil des Bergfriedhofs umbetten. Das von ihm erworbene Nutzungsrecht für das Grab erlosch 1981.
Quellen: UA Heidelberg PA 1091, PA 5153; H-III–111/139 (fol. 312–317), StudA Neu, Maximilian (1899) und (1901), Rep. 27/913; StadtA Heidelberg 243/6; Stadt Heidelberg Landschaftsamt, Unterlagen über Beisetzung; GLA Karlsruhe 235/2341 u. Ek10213.
Werke: Auswahl: Experimentelle u. klinische Blutdruck-Untersuchungen mit Gärtner’s Tonometer, Diss. Heidelberg 1902, in: Verhandlungen des Naturhist.-Medizin. Vereins zu Heidelberg Bd. 7, 211–365; Untersuchungen über die Bedeutung des Suprarenins für die Geburtshülfe. Eine experimentelle u. klinische Studie, Habilschr. Heidelberg 1908, in: Archiv für Gynäkologie 85, 1908, 617–711; Ein Verfahren zur Srickoxydulsauerstoffnarkose, in: Münchner Medizin. Wochenschr. 57, 1910, 1873–1875; Die Stickoxydul-Sauerstoff-Narkose, in: Archiv für klinische Chirurgie 95, 1911, 550–557; Über Infusion von Suprarenin-Kochsalzlösungen: kritisches Referat an d. Hand eigener Erfahrungen, zugleich Betrachtung des Problems d. Peritonitistherapie, in: Sammlung klinischer Vorträge Gynäkologie, N. F. Nr. 622, 1911, 83–100; Die Diagnose d. Schwangerschaft, in: Döderlein (Hg.), Handb. d. Geburtshilfe, 1915, 246–328.
Nachweis: Bildnachweise: UA Heidelberg, Bildersammlung; Private Bildersammlung Dr. M. Goerig, Hamburg

Literatur: Bad. Statist. Landesamt (Hg.), Wohlfahrts- u. ähnliche Heime in Baden im Jahr 1929, 1929, 74–75; I. Fischer, Biograph. Lexikon d. hervorragenden Ärzte d. letzten fünfzig Jahre Bd. 2, 1933, 1107; M. Baum, Vergessene u. Unvergessene aus d. Stadt Heidelberg, in: H. Maas, G. Radbruch, L. Schneider (Hgg.), Den Unvergessenen. Opfer des Wahns, 1952, 103; O. H. Gawliczek, Chronik d. Ärzte Heidelbergs. Ein Fragment, 1985, 138; D. Drüll, Heidelberger Gelehrtenlexikon 1803–1932, 1986, 190; D. Mussgnug, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten. Zur Geschichte d. Ruprecht-Karls-Universität nach 1933, 1988, 34–35, 54, 113, 136, 138; F. Moraw, Die nationalsozialistische Diktatur (1933–1945), in: P. Blum (Hg.), Geschichte d. Juden in Heidelberg, 1996, 517, 531; C. Mack, Die Bad. Ärzteschaft im Nationalsozialismus, 2001, 96; R. Bröer, Geburtshilfe u. Gynäkologie, in: W. U. Eckart u. a. (Hgg.), Die Univ. Heidelberg im Nationalsozialismus, 2006, 850–852.
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