Jäger, Albert (Bert) 

Geburtsdatum/-ort: 11.01.1919;  Karlsruhe
Sterbedatum/-ort: 02.05.1998;  Freiburg im Breisgau
Beruf/Funktion:
  • Maler, Gebrauchsgrafiker und Fotograf
Kurzbiografie:

1925–1934 Karl-Wilhelm-, dann Schiller-Schule, beides Volksschulen, danach Goethegymnasium, ohne Abschluss

1934–1939 Studium an der Kunstakademie Karlsruhe, bei Siegfried Czerny (1889–1979), Georg Siebert (1896–1984) und Hermann Goebel (1885-1945)

1939–1944 Soldat, letzter Rang Gefreiter

1944–1949 Russische Kriegsgefangenschaft

1949 Rückkehr nach Freiburg im Breisgau

1960 Mitbegründer der „Galerie 61“ in Freiburg

1961 I. Einzelausstellung im Kunstverein

1963 Mitglied im „Künstlerbund Baden-Württemberg“

1958–1970 Aufträge für Kunst im öffentlichen Raum

1970 Aufgabe der Malerei

1987 Wiederaufnahme der Malerei

1987–1993 Atelier in Pietrabruna/Ligurien

ab 1990 Atelier im E-Werk, Hallen für Kunst, in Freiburg

1994 I. Maria-Ensle-Preis der Kunststiftung Baden-Württemberg

Weitere Angaben zur Person: Religion: römisch-katholisch, ab 1.10.1970 konfessionslos
Verheiratet:

1943 Edelgard Berta, geb. Brill (geb. 1915), gesch. 1966


Eltern:

Vater: Karl Ludwig (geb. 1889), Verwaltungsoberinspektor

Mutter: Pauline Josefine, geb. Dörr (geb. 1892)


Geschwister:

3; Bernhard (geb. 1924), Grundschullehrer, Maria (geb. 1921), Grundschullehrerin, und Alfons (geb. 1932), Apotheker


Kinder:

3; Laurens (geb. 1944), Grafiker, Basil (geb. 1950), Realschullehrer, und Daniel (geb. 1953), Publizist

GND-ID: GND/119194759

Biografie: Antje Lechleiter (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 7 (2019), 266-269

Jäger verbrachte seine Kindheit und Schulzeit in Karlsruhe, wo die Familie in der Lachnerstraße in der Nordoststadt wohnte. Er ging zunächst zur Karl-Wilhelm-Schule, dann auf die Schiller-Schule und schließlich in das Goethegymnasium. Als ausgesprochen schlechter Schüler verließ er das Gymnasium ohne Abschluss. Doch bereits als 15–Jähriger besuchte er Zeichenkurse an der Karlsruher Kunstakademie. Nikolaus van Taack (1898–1971), ehemals Professor für Innenarchitektur an der Badischen Landeskunstschule, empfahl ihn für ein Bühnenbildstudium. Jäger gelang die Aufnahme an die Kunstakademie und der 16–jährige begann sein Kunststudium.

Nach der NS-„Machtergreifung“ stellte sich Jäger gegen die dem Nationalsozialismus zugewandten Lehrer. Volkstümelei und Propagandakunst waren ihm zuwider, was zu Konflikten mit Georg Siebert (1896–1984), dem Leiter der Zeichenklasse, Otto Schliessler (1885–1964), dem Professor für Bildhauerei, und dem Maler Siegfried Czerny (1889–1979) führte. 1936 musste die mit der Familie Jäger befreundete jüdische Familie Vogel emigrieren, was den jungen Studenten zutiefst schockierte. Auch der Besuch der moderne Kunst stigmatisierenden Münchener Ausstellung „Entartete Kunst“ 1937 hinterließ tiefe Spuren.

Bei Kriegsbeginn wurde Jäger zur Wehrmacht eingezogen. Er war in Polen und Russland eingesetzt. 1940 erhielt er Urlaub und bewarb sich um die Teilnahme bei einer Ausstellung im Badischen Kunstverein Karlsruhe. Obgleich Professor Hermann Goebel Mitglied der Jury war und für seinen ehemaligen Studenten stimmte, wurde Jäger wegen „Irrationalismus“ abgelehnt. 1942 zertrümmerte ihm ein Schuss das Bein und Jäger wurde in ein Lazarett nach Wien eingeliefert. Auf Empfehlung eines Arztes konnte er 1942 kurzzeitig an der Akademie bei Herbert Boeckl (1894–1966) studieren. Nach seiner Genesung wurde Jäger zum Ersatzgruppenteil nach Bunzlau versetzt, kam erneut ins Lazarett, war bei Görlitz und heiratete schließlich in Freiburg. 1944 verlängerte er sich zweimal ohne Erlaubnis einen Sonderurlaub aus Bunzlau und wurde an die Front bei Arys, heute Orszysz, in Ostpreußen strafversetzt. Im Geschosshagel stürzte er in einen eisigen Fluss, desertierte und geriet in sowjetische Gefangenschaft. Fünf Jahre verbrachte er in einem Lager in Lettland. Dort arbeitete Jäger im Hoch- und Tiefbau, als Stuckateur und Schriftenmaler. Es gibt Zeichnungen aus dieser Zeit, Jäger zeichnete Bilder der alten Meister ab und hielt Gesichter seiner Mitgefangenen auf Postkarten fest. Er schrieb auch Tschechow-Geschichten für das Lagertheater in Szenen um und arbeitete für die Lagerzeitung. Als Mitglied im Nationalkomitee „Freies Deutschland“ war er für die „antifaschistische Kulturarbeit“ (AKat. Freiburg, 2001, S. 10) im Lager mit zuständig.

Nach seiner Entlassung kehrte Jäger zu seiner Familie nach Freiburg zurück und nahm seine künstlerische Tätigkeit wieder auf. Er wurde Mitglied des „Berufsverbands Bildender Künstler Südbaden“, der „Jungen Gruppe Baden“ um Willy Kiwitz (1896–1978), der „Jungen Gruppe Freiburg“ sowie der „Freien Gruppe Oberrhein“ um Günter Fruhtrunk (1923–1982) und engagierte sich im Freiburger Kunstverein. Der Leiter des Kunstvereins, Siegfried Bröse (1895–1984), veranstaltete in den frühen 1950er Jahren Reisen mit jungen Künstlern nach Paris, die auf diese Weise ihren Nachholbedarf stillen und wieder Anschluss an aktuelle, moderne Kunstströmungen finden konnten. In diese Zeit fiel die Bekanntschaft mit dem für den Caritasverband arbeitenden Pfarrer Ernst Schnydrig (1912–1978), der Jägers Gebrauchsgrafik und Fotografie schätzte. Jäger gestaltete Zeitungen und publizierte Fotografien, die deutlich von den Erfahrungen während der NS-Zeit, Kriegs- und Gefangenenjahre geprägt waren. Für die Caritas fotografierte Jäger das Nachkriegsdeutschland der 1950er Jahre, gab Einblicke in Krankenhäuser und Kinderheime, zeigte Kriegsversehrte, Waisen und Opfer des ihm verhassten Krieges. So wurde er zu einem gefragten Pressefotografen, dessen Aufnahmen neben denen bekannter Magnum-Fotografen wie Henri Cartier-Bresson (1908–2004), Werner Bischof (1916–1954) und Jacques Lowe (1930–2001) veröffentlicht wurden. 1958 erhielt Jäger den Auftrag, für die Brüsseler Weltausstellung den Messestand der Caritas International zu gestalten und die Ausführung zu überwachen. Die Rückreise nutzte er für einen Besuch bei dem von ihm geschätzten Maler-Kollegen Joseph Lacasse (1894–1975) in Paris.

Auf seinen Reisen nach Frankreich und Italien von 1952 bis 1960 entstand ein umfangreiches fotografisches Werk, das rund 3500 schwarz-weiß-Fotografien umfasst. Seinen Lebensunterhalt bestritt er im Wesentlichen als Gebrauchsgrafiker. Jäger entwarf Briefmarken, 1956 beispielsweise vier Marken für die Serie der Deutschen Bundespost „Helfer der Menschheit“. Seine bekannteste Signetgestaltung ist das „Flammenkreuz“ von 1962 für den Deutschen Caritasverband. Er illustrierte Bücher, beispielsweise für HAP Grieshaber (1909-1981) und Wystan H. Auden (1907–1973) und erhielt zahlreiche Aufträge für Kunst im öffentlichen Raum, darunter 1959 die Gestaltung einer Keramikwand im Freiburger Arbeitsamt, die er gemeinsam mit dem Maler und Keramiker Richard Bampi (1896-1965) ausführte.

Seine freien künstlerischen Werke in den frühen 1950er Jahren zeigen statische, geometrisch-kubische Formen, der Bildaufbau dieser Zeit war stark im Rationalen verhaftet. Dann vollzog Jäger um 1960 einen einschneidenden stilistischen Wandel hin zu einer vom abstrakten Expressionismus und Informel beeinflussten Arbeitsweise. Er wandte sich einer gestischen Malerei zu. Die Farbe begann mit explosiver Wucht die fest umrissenen Formen zu zerstören. Vorbilder waren die amerikanischen Künstler Franz Kline (1910–1962), Willem de Kooning (1904–1997) und Robert Rauschenberg (1925–2008). Dieser Werkabschnitt dauerte bis in die späten 1960er Jahre. Nach einem kurzen Ausflug in die Pop-Art um 1968 wurde Jägers Gesundheit durch eine misslungene Hüftgelenksoperation stark beeinträchtigt. Zwei Jahre später hörte er mit der Malerei ganz auf, begann zu schreiben und widmete sich der Farbfotografie. Zwischen 1979 bis 1986 entstanden rund 25 000 Diapositive. Ab 1975 war Gisela Geffers, geb. Stirnkorb (1928–2018) seine Lebensgefährtin. Gesundheitlich blieb er angeschlagen. Es folgten mehrere Augenoperationen sowie ein weiterer Eingriff am Hüftgelenk.

Zeitlebens blieb Jäger, der in den 1970er und 1980er Jahren Mitglied der DKP war, ein politisch denkender Mensch, der bereit war, sich zu engagieren. Besonders groß war sein Interesse an der Geschichte und dem Schicksal des badisch-elsässischen Landjudentums.

Die zweite Werkphase als Maler begann nach einer Pause von 17 Jahren. Anstoß dazu gab die Retrospektive, die das Freiburger Museum für Neue Kunst 1986 organisierte. Jäger tastete sich zunächst mit kleinen Zeichnungen und lyrischen, zart verwischten Farbspuren vorsichtig an das einstmals so vertraute Metier heran. Fast 100 Blätter entstanden, bis er wieder zur Malerei überging. Inzwischen 70–jährig machte er dort weiter, wo er fast zwei Jahrzehnte zuvor aufgehört hatte: bei den elementar explosiven Formen der Zeit um 1963/64. Oftmals wird Jägers Anknüpfen an das Informel der 1960er Jahre als seine Kampfansage gegen die Pop-Art interpretiert, von der auch behauptet wird, dass sie ihn 1970 in künstlerischer Hinsicht zum Schweigen gebracht habe. Doch mit den von ihm häufig eincollagierten, ironisch-witzigen Kommentaren fanden sich erneut kleine Versatzstücke auch der Pop-Art in seinen Werken. Sie stehen allerdings in keiner inhaltlichen Verbindung zu dieser Stilrichtung, denn Jäger stieß sich immer wieder ganz vehement mit den heftigen Farbaufwallungen einer erregt gestikulierenden Formensprache von diesen Fragmenten einer geschönten Warenwirklichkeit ab. So haben diese eingeklebten Flächen eher eine kompositorische Aufgabe, indem sie eine ordnende Strukturierung der Bildoberfläche vornehmen. Jener stellte Jäger dann als bewusste Reaktion das Chaos der eigenen Farb- und Formensprache gegenüber.

Bevor er mit der Arbeit begann, beklebte Jäger oftmals die Leinwände mit Zeitungspapier, das er mit einer weißen Grundierung übermalte. Durch dieses Vorgehen schuf er sich einen Untergrund, auf dem die Farbe so stand, als würde auf Papier gemalt, und gleichzeitig blieb die Leinwand als Malfläche erhalten. Die aufgebrachten Seiten fungierten wie ein Katalysator für den Bildanfang, wurden im Verlauf des weiteren Vorgehens jedoch durch zahlreiche Schichten einer kraftvoll auf die Leinwand geschleuderten Farbe wieder getilgt. Der Farbton, der den Ausgangspunkt der Komposition bildete, wurde von Jäger nur selten bewusst gewählt, wozu der Künstler bemerkte:„Noch zehn Minuten, bevor ich mit einem Bild beginne, bin ich überzeugt, dass ich mit grün (sic!) beginnen werde und nehme schließlich blau (sic!)“ (AKat. Kunstverein Freiburg, 1994, o. S.). Im Zuge der weiteren Gestaltung entlud sich eine gewaltige Bewegungsenergie auf der Leinwand, die Farbe überflutete das Bildfeld, Jäger führte reine Malerei vor und ging jeglicher Harmonisierung aus dem Weg. Rote Farbbahnen und leuchtendes Weiß stießen aneinander, feuriges Orange und giftiges Grün glühten vor schwarzen Partien auf. In Blöcken und Kaskaden, in schnellen Schlenkern und energischen Bahnen drängte sich die Acrylfarbe in den Bildraum und schuf eine geradezu leidenschaftliche Unordnung. Wenn Jäger von sich behauptete: „Es ist für mich ganz wichtig, dass ich etwas Falsches mache“ (ebd.), so deutete er an, dass erst aus einer mitunter geplanten Fehlformulierung die Reibungshitze entstand, an der sich sein Bild entzünden konnte.

In seiner zweiten Werkphase trieb Jäger die Entgrenzung des Bildraumes, die gestische Expressivität noch weiter als in den 1960er Jahren. Eine heftig aufwallende Farbigkeit, die schnelle Wucht großer Pinselschwünge, die langen kreisenden Linien und die sich eruptiv verbreitenden Farbflecken zerrissen nun förmlich die Bildfläche. Jäger hatte ein geradezu sinnliches Verhältnis zur Farbe und trug diese mit Flaschen- und Klobürsten, Palmwedeln und auch den Fingern auf. Seine Formate wurden während der 1990er Jahre immer größer, zur leichteren Handhabung setzte er sie oftmals aus zwei Teilen zusammen. In seinem Spätwerk kehrte Jäger sein Innerstes nach außen, bildete die Faszination und die Bedrohung eines verwirrend bunten Lebens ab, zwischen sprühender Lebensfreude und körperlichen Leiden.

Neben den Gemälden entstanden weiterhin Arbeiten auf Papier, in denen der Antagonismus von Chaos und Ordnung durch das dominierende Weiß des Blattes in Richtung Stabilität geführt wurde. Diese Kompositionen zeigen einen stillen, behutsamen, manchmal sogar asketisch- konzentrierten Künstler, der seine Mittel zu reduzierten Formen zusammenzog und sich bewusst von der Gewalt der Farbe befreite.

Jäger starb kurz vor Vollendung seines 81. Lebensjahres.

Quellen:

Nachlass Jäger bei Dieter Weber, modo Verlag GmbH Freiburg im Breisgau

Werke: Kunsthalle Karlsruhe; Museum für Neue Kunst Freiburg; Markgräfler Museum Müllheim; Landratsamt Breisgau Hochschwarzwald; Kunstmuseum Singen; Privatsammlungen Frankfurt und Freiburg im Breisgau
Nachweis: Bildnachweise: Foto, Dieter Weber

Literatur:

Kunstverein Freiburg e.V., Ruth F. und Rudi Wolpert (Hgg.), Bert Jäger Retrospektive 1940–1994, AKat. Kunstverein Freiburg, 1994; Staatl. Kunsthalle Karlsruhe (Hg.), Bert Jäger Werke auf Papier 1961 –1998, AKat. Freiburg, 2001; Ehemalige Synagoge Sulzburg, Markgräfler Museum Müllheim (Hg.), Bert Jäger Malerei-Arbeiten auf Papier – Fotografie. AKat. Freiburg, 2009; Kunstverein Pforzheim (Hg.), Alltag und Ambiente. Zeitgenössische Kunst reflektiert die 1950er Jahre. AKat. Pforzheim, 2010; Dieter Weber, AKat. Städt. Kunstmuseum Singen (Hg.), Bert Jäger– Fotografie, Freiburg, 2011.

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