Kirchner, Klaus Walter 

Geburtsdatum/-ort: 07.11.1927; Essen
Sterbedatum/-ort: 02.09.1990;  Karlsruhe
Beruf/Funktion:
  • Sänger
Kurzbiografie: 1938-1944 Humboldt-Gymnasium Duisburg (1942-1944 Luftwaffenhelfer)
1944-1945 Einberufung zur Marine, Kadett auf „Admiral Scheer“
1945-1948 Humboldt-Gymnasium Duisburg, Abitur
1948-1950 Kaufmännische Lehre bei der AEG, Duisburg, 1950 Kaufmannsgehilfenprüfung
1950-1954 Studium der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Köln, Dipl.-Kaufmann; gleichzeitig Gesangsstudium an der Musikhochschule in Köln
1954-1956 Lyrischer Bariton am Landestheater Detmold
1956-1959 Lyrischer und Kavaliersbariton am Stadttheater Mainz
1959-1963 Erster lyrischer und Kavaliersbariton an den Städtischen Bühnen Gelsenkirchen
1963-1990 am Badischen Staatstheater Karlsruhe, 1970 Kammersänger (ernannt vom Baden-Württembergischen Kultusminister)
1973-1976 Dozent für Gesang an der Staatlichen Hochschule für Musik in Karlsruhe; erneut 1981-1990
1976-1981 Dozent für Gesang an der Musikhochschule des Saarlandes in Saarbrücken, 1979 Professor (ernannt vom Kultusminister des Saarlandes)
Weitere Angaben zur Person: Religion: evangelisch
Verheiratet: 1956 Köln, Dr. rer. pol. Rita Luise, geb. Zeidler (1927-1993)
Eltern: Walter, Bauingenieur (1889-1963)
Gertrud, geb. Buschikowski (1895-1973)
Geschwister: 1 frühverstorbener Bruder Werner
Kinder: 1
GND-ID: GND/13295608X

Biografie: Horst Ferdinand (Autor)
Aus: Baden-Württembergische Biographien 3 (2002), 183-184

Wenn er schon zur Oper wolle, müsse er vorher etwas „Ordentliches“ lernen – so oder ähnlich lautete der elterliche Beschluß, als der Sohn Klaus seiner theatralischen Sendung Folge leisten wollte. Tatsächlich studierte er acht Semester lang an der Kölner Universität Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und beschloß das Studium als examinierter Diplom-Kaufmann; das Thema der Diplomarbeit – „Die Arbeitsmarktlage der Bühnenkünstler“ – weist freilich deutlich auf die eigentliche Berufsabsicht hin, die er auch während des wirtschaftswissenschaftlichen Studiums zielbewußt verfolgt hatte: an der Kölner Musikhochschule vermittelte ihm Clemens Glettenberg erstklassige Voraussetzungen für eine herausragende Position in dem seinerzeitigen Arbeitsmarkt der Bühnenkünstler. Nach den Anfängerjahren in Detmold und Mainz – mit winziger Gage, aber vielfältigen Aufgaben – entfaltete sich in Gelsenkirchen das breitgefächerte Repertoire des Künstlers auf 59 jederzeit abrufbare Partien. Als er 1963 nach Karlsruhe berufen wurde, war er nicht nur mit den traditionellen Rollen des deutschen und italienischen Opernfachs vertraut, sondern hatte auch in einer Reihe zeitgenössischer Werke tragende Partien verkörpert, etwa die Titelrollen in „Schwanda, der Dudelsackpfeifer“ von Jaromir Weinberger, in „Titus Feuerfuchs“ von Heinrich Sutermeister und in „Der Prinz von Homburg“ von Hans Werner Henze.
So war es fast zwangsläufig, daß ihm als erste große Aufgabe in Karlsruhe die Titelrolle in Paul Hindemiths „Mathis der Maler“ zufiel. Viele Jahre lang war in Karlsruhe ohne Erfolg über die Erstaufführung dieses schwierigen Stücks diskutiert worden, und nun trat mit Kirchner ein Sänger auf den Plan, der den immensen Anforderungen der Titelrolle voll gewachsen war. Die Kritik rühmte nicht nur die „schöne, breit ausschwingende und zu kraftvoller Höhe vordringende“ Stimme, sondern lobte vor allem das geistige Format und die Überzeugungskraft des Künstlers, mit der er die inneren Wandlungen und Visionen des unglücklichen Malers darzustellen verstand. Kirchner betrachtete es als ein besonderes Privileg, daß er später den „Mathis“ unter Stabführung des Komponisten bei einem Gastspiel in Zürich singen durfte.
Einen ähnlichen Erfolg hatte er ein Jahr später mit dem „Don Giovanni“. „Blendende Erscheinung“, „Exzellenter Vortrag“, „Ritterliche Eleganz und bezwingende Leidenschaft“ sind Stichworte aus den Rezensionen dieser Aufführung. Zu dieser Zeit nahm Kirchner aber schon in der Nachfolge bedeutender Vorgänger wie Fritz Harlan und Barry McDaniel einen festen Platz im Karlsruher Ensemble ein. Er gehörte zu den wenigen Sängern seiner Generation, die sich nicht mit dem traditionellen Repertoire begnügten. Immer wieder befaßte er sich während seiner langen und erfolgreichen Laufbahn in Karlsruhe mit dem zeitgenössischen Opernschaffen, „weil es Arbeit macht“, pflegte er sich auszudrücken. Der Dr. Schön in „Lulu“ und der Doktor in „Wozzeck“ von Alban Berg gehörten zu seinen bevorzugten Rollen. In „Herzog Blaubarts Burg“ von Bela Bartok übernahm er die Partie des Popolari, in „Celestina“ von Karl Heinz Füssl die des Sempronio, in Benjamin Brittens „Albert Herring“ die des Sid und des Mr. Gedge, in „Die Kluge“ von Carl Orff die des Königs. Der weitgespannte Umfang seines Repertoires, das in 27 Jahren am Badischen Staatstheater auf über 150 Partien anwuchs, reichte von so gegensätzlichen Rollen wie denen des Jochanaan („Salome“), Mandryka („Arabella“) und des Geisterboten („Die Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss) bis zur Titelrolle in „Die Heimkehr des Odysseus“ von Claudio Monteverdi und zum Domkapellmeister Römer („Schwarzwaldmädel“ von Leon Jessel). Auch eine Reihe von Partien des Charakterfachs erarbeitete er sich im Lauf der Jahre: Früh schon sang er den Amfortas („Parsifal“), den Wolfram („Tannhäuser“) und den Heerrufer („Lohengrin“), später folgten Alberich („Ring der Nibelungen“) und vor allem der, wie die Kritik schrieb, „menschlich tief anrührende“ Beckmesser („Meistersinger“), dem er dank seiner persönlichen Ausstrahlung, seiner Gesangskunst und der Noblesse seiner Darstellung, die Selbstironie einbegriff, das Stigma des Außenseiters unter seinen Meisterkollegen weitgehend zu nehmen vermochte.
Viele Gastspielverträge verbanden Kirchner mit den bedeutendsten europäischen Opernzentren – Bayreuth, Salzburg, Berlin, Wien, München, Stuttgart, Amsterdam, Straßburg, Turin, Lissabon, Genf, Zürich, Paris, Rom –, aber er hielt dem Badischen Staatstheater die Treue, das ihn mit der Verleihung des Kammersängertitels ehrte. Auch als Lieder- und Konzertsänger war Kirchner hochgeschätzt. Vielfach wurde er von Funk und Fernsehen engagiert. An den Musikhochschulen in Karlsruhe und Saarbrücken gab er seine Erfahrung an den Nachwuchs weiter, der nicht nur den engagierten Pädagogen schätzte, „sondern auch das Vorbild, das er seinen Studenten auf jede Weise zu sein bemüht war“ (Karlheinz Ebert). Ein Herzinfarkt setzte dem Leben des voller Pläne steckenden Künstlers ein Ziel.
Quellen: Mitteilungen von Thomas Kirchner und Friedrich Wilser, Karlsruhe; Auskünfte des Badischen Staatstheaters, Bibliothek/Archiv, Karlsruhe
Nachweis: Bildnachweise: in: Karlheinz Ebert, Für das Theater gelebt und für die Jugend gelehrt (Literatur)

Literatur: (Auswahl) Dr. R., Ein Gipfelwerk zeitgenössischen Musiktheaters – Erstaufführung von Paul Hindemiths Oper „Mathis der Maler“ im Badischen Staatstheater, in: Durlacher Tagblatt vom 04.10.1963; Karlheinz Ebert, Paul Hindemiths „Mathis der Maler“ – Eine ungemein eindrucksvolle Erstaufführung im Badischen Staatstheater, in: BNN vom 04.10.1963; M. Franckh, Ein hinreißendes Kunsterlebnis – „Mathis der Maler“ – Erstaufführung im Badischen Staatstheater, in: Ludwigsburger Kreiszeitung vom 05.10.1963; Karlheinz Ebert, Mozart im Glanz schöner Stimmen – Die Eröffnung einer neuen Opernspielzeit des Badischen Staatstheaters mit „Don Giovanni“, in: BNN vom 29.09.1964; Klaus Kirchner, in: Karl-Josef Kutsch/Leo Riemens, Großes Sängerlexikon, 1986; Friedrich Wilser, Nachruf auf Klaus Kirchner (Manuskript), 1990; Karlheinz Ebert, Für das Theater gelebt und für die Jugend gelehrt – Gedenkblatt zum Tode des Karlsruher Kammersängers und Hochschulpädagogen Klaus Kirchner, in: BNN vom 12.09.1990; Franz Josef Wehinger, Kammersänger Klaus Kirchner gestorben – Ein Sänger der alten Garde, in: Pfälzer Tageblatt vom 27.09.1990
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